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Ludwig Anzengruber: Der Pfarrer von Kirchfeld. Aus: Ludwig Anzengrubers sämtliche Werke. Band 2


Hell. Ich wollte dir eine Freude machen, ich habe das Kreuzchen zu mir gesteckt (zieht es aus der Tasche), ich will es dir schenken.

Annerl. Mir? Was du gut bist – aber das Kreuzl is ja schwer Gold!

Hell. Du sollst eben nicht denken, daß es von Gold, als vielmehr, daß es ein Kreuz ist!

Annerl. Ich denk auch nur dran deswegen, weil du mir’s schenken willst.

Hell. Nimm nur! (Gibt es ihr.) Es ist ein Geschmeide meiner verstorbenen Mutter.

Annerl (erschreckt). Von deiner Mutter selig? Na, da behalt’s nur, das bin ich nit wert.

Hell. Ich wüßte niemanden, in dessen Händen ich es lieber sehen würde, als in den deinen.

Annerl (verwirrt und errötend). Du mußt mir aber doch recht gut sein, weil d’ mir das Kreuzl gönnst?

Hell. Das kannst du noch fragen, Anne?

Annerl (sinkt mit ihrem Gesichte auf seine Hände, schluchzend). O, du mein Gott und Herr!

Hell. Was ist dir, Anne?

Annerl (erhebt sich). Nichts, gar nichts!

Hell. Ich habe es dieser Tage gedacht: wenn mir nun meine Schwester am Leben geblieben wäre, wer weiß, wäre sie noch bei mir? Ein braver Mann hätte sie vielleicht von mir weg in sein Haus geführt – und da dachte ich denn auch an dich, ich dachte mir, da du dich einmal zu dienen entschlossen hast, da dir hier nichts abgehen wird, daß du bei mir bleiben wirst, daß du mich nicht verlassen wirst!

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Ludwig Anzengruber: Der Pfarrer von Kirchfeld. Aus: Ludwig Anzengrubers sämtliche Werke. Band 2. Wien 1922, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Anzengrubers_s%C3%A4mtliche_Werke_II_053.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)