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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

daran das wenigste. Ein merkwürdiges Pröbchen solcher indirekter Theaterkritik war das Feuilleton über den Juristen Dr. Max Burckhard, als er allen unvermutet zum Direktor des Burgtheaters ernannt wurde (1890). Seine Befähigung dazu untersuchte Sp. in Form einer Zergliederung seines großen juristischen Werkes: »System des österreichischen Privatrechts«. Aus diesem heraus stellte er eine ganze Charakteristik des Verfassers auf und wog den neuen Hoftheaterleiter, und was man von ihm zu erwarten habe, bis aufs Quentchen ab. In rein theatralischen oder gar schauspielerischen Dingen hat er oft geirrt (Frl. Barsescu »das Glück des Burgtheaters«), auch vergingen Reihen von Jahren, in denen er die Darstellung eines großen Stückes mit wenigen Zeilen am Schlusse abtat. Aber er hatte über vierzig Jahre lang das Wiener Theater kritisiert, war dessen geschriebenes Gewissen geworden, jedenfalls eine lebendige Chronik des Burgtheaters, mit dem er am innigsten verwuchs, wie er denn auch mit einigen Größen der Burg (Sonnenthal, Gabillons, Mitterwurzers, Robert) alte treue Freundschaft hielt. Es war eine sinnige Überraschung, daß die Direktion beim Abbruch des alten Burgtheaters die beiden »Referentensitze« Speidels aus dem Parkett heraussägen ließ und ihm als Andenken so vieljähriger Benutzung verehrte. Sie standen seither in seiner Wohnung. Sp. und das Wiener Theater waren also untrennbare Begriffe geworden. Nur darum ließ er sich auch bestimmen, diesem Thema zweimal größere Essays zu widmen. In der Festschrift »Wien 1848–1888«, der Stadt Wien zum Vierzigjahrfest des Kaisers, liest man sein Kapitel: »Theater« und in der »Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Wort und Bild« die historische Darstellung: »Das Wiener Theater«. Der Herausgeber dieses Werkes, Kronprinz Rudolf, hielt ihn besonders wert und schickte ihm immer wieder durch Hofrat v. Weilen, den Redakteur des Werkes, ein Achtungszeichen in Gestalt eines Viergespannes kolossaler Havannazigarren. Nebenbei kann man sich denken, welche Mühe es die Umgebung Sp.s kostete, ihn dann zur tatsächlichen Abfassung dieser größeren Arbeiten zu pressen. Seine Stellung zum Burgtheater wurde mit der Zeit die eines getreuen Eckart, eines kritischen Schirmherrn. Als Wilbrandt die Direktion niedergelegt hatte (1887), wurde ihm sogar diese Stellung angeboten; er lehnte sie natürlich ab, sein Brief an die Generalintendanz erschien dann in der »Neuen Freien Presse«. »Für das Burgtheater bin ich immer zu Hause«, hieß es da. Und dies war kein leeres Wort. Er bewies es so manches Mal, wenn die Not am höchsten war. Welches Aufsehen erregte sein Feuilleton: »Der neue Direktor des Burgtheaters«, worin er der ausgebrochenen Seuche, für diesen Posten zu kandidieren, ein Ende mit Schrecken machte, indem er alle seither genannten Kandidaten (»mit Überwindung manchen persönlichen Gefühls«, was sich etwa auf Ludwig Gabillon bezog) arg durchhechelte. Am schlimmsten kam Friedrich Uhl weg, am besten Ludwig Doczi, der liebenswürdige Dichter des »Kuß«, obgleich er sich einst in einem sonst sehr würdigenden Speidelfeuilleton die Freiheit genommen hatte, ihm offen »Ungerechtigkeit« vorzuwerfen. Er trug es ihm nicht allzu lange nach. »Der Genius des Burgtheaters, ein zartes Seelchen, will geschont sein«, hieß es da. Und es waren schließlich Worte, »aus deren Schärfe und Milde die Liebe zum Burgtheater leuchtet«. Ein andermal (1889) galt es, nach Eröffnung des

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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)