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Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller

ermannte er sich sogar zu einem Brief an mich. An seinen guten Tagen war er liebenswürdig und geweckt, wie je. Er lachte gern und seine epigrammatischen Bemerkungen stiegen gleich Raketen. Er war noch immer ein reizender Verkehr. Dann wieder kamen umnebelte Tage, mit Verworrenheiten. Auch aus diesen heraus wetterleuchtete es noch manchmal gar hübsch. Einmal sprudelte er hastig drei Verse heraus, die nach etwas klangen. »Ist das ein Zitat?« fragte ich. Er merkte plötzlich, daß etwas schief gegangen war, und sagte halb verdrießlich, halb entschuldigend: »Na, es war eben so dran hinzitiert.« Oft spielten wir Tarok. Wie er das erlernt hat, ist mir ein Rätsel. Er spielte es freilich, sagen wir, in seiner Weise. Da es, außer wenigen Photographien, kein Porträt von ihm gab, bewog ich ihn, dem Maler Josef Engelhart zu sitzen. Ich wählte diesen mit gutem Bedacht, als einen Kulturmenschen mit Natur im Leibe, einen jener Wiener, wie sie Sp. gern mochte. Wir gingen wiederholt hinaus, und Engelhart malte zwei Porträtstudien in Öl, die eine lebensgroß, und zeichnete, um sich den Bau des Kopfes ganz klar zu machen, mehrere Ansichten von allen Seiten. Das war drei Monate vor seinem Tode. Es ist bezeichnend für das posefreie Wesen Sp.s, daß der Freund eines Rahl, Natter, Feuerbach und so vieler anderer Großkünstler sich nie zu einem Porträt haben ließ. Den Nachmittag vor seinem Tode sah ich ihn zum letzten Mal. Er wußte, woran er war, und hatte, schon zu Bette, einmal plötzlich gerufen: »Jetzt weiß ich schon, wo Bartel den Most holt!« Einer aus dem Volke hätte die bittere Erkenntnis nicht derber und dabei, sozusagen, bauernphilosophischer ausdrücken können.

Am 5. Februar 1906 war die Bestattung. Ein schmelzendes Schneewetter beeinträchtigte die Teilnahme. Dennoch war die Wiener Geisteswelt zahlreich vertreten. Ein langer Wagenzug bewegte sich hinab zur alten gotischen Pfarrkirche in Heiligenstadt, wo die Einsegnung stattfand, und dann hinüber nach Sievering. Das Wetter machte die Reden kurz, barhaupt zu stehen war nicht ratsam. Am unteren Ende des Gottesackers, mit dem Blick über Wien, ruht er mit seiner Frau unter einem unbehauenen Stein, dessen Tafel bloß die Namen und Daten trägt.

Literatur: Die Wiener Tagesblätter vom 11. bez. 13. April 1900 (siebzigster Geburtstag) und 4. Februar 1906 (Tag nach dem Tode). In der »Neuen Freien Presse« an der Spitze des Sonntag-Morgenblattes, 4. Februar, Nekrolog aus der Feder des Herausgebers Moritz Benedikt, dann Feuilleton von Hugo Wittmann, an den folgenden Tagen Berichte, Beileidsbezeigungen, 8. Februar Würdigungen von Prof. Jakob Minor und Alfred Freiherrn von Berger. Im »Fremden-Blatt«, dessen Musikkritiker Sp. über vierzig Jahre war, Aufsätze von Ludwig Hevesi (auch 1900) und Albert Kauders (»Ludwig Speidel als Musikkritiker«, 8. Februar 1906). In der »Österreichischen Rundschau« (Sommer 1906) Schilderung seiner letzten Zeit: »Mit Ludwig Speidel«, von Ludw. Hevesi. Unter den Nekrologen etwa noch die von Max Kalbeck (»Neues Wiener Tageblatt«) und Dr. Max Graf (»Wiener Journal«) zu erwähnen. In der Berliner »Zukunft« ging gelegentlich Maximilian Harden (»Zwei Kritiker«) mit ihm schärfer ins Gericht.

Ludwig Hevesi.
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Hevesi (1843-1910): Ludwig Speidel, Schriftsteller. Reimer, Berlin 1908, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Speidel,_Schriftsteller.pdf/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)