Seite:Meier Volksmärchen aus Schwaben 126.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zu ihm in den Wagen und fuhr mit ihm davon, bis daß sie vor ein Schloß kamen. Da führte der Mann sie hinein, und sagte ihr, daß sie ihn erlösen könne. Dann gieng er mit ihr in einen schönen Garten, der war ganz voll von Rosen und sagte zu ihr: „morgen werde ich verreisen; dann mußt Du an drei Morgen nach einander in dem Garten spazieren gehn und darfst von allen Rosen Dir abbrechen, so viele als Du haben willst; nur den Einen Stock mußt Du unberührt stehn laßen und mußt auch an mich nicht denken, wenn Du daran vorübergehst. Wenn Du das thust, dann werde ich erlöst werden; sieh, und dann will ich dieß Schloß mit allen Schätzen, die darin verborgen sind, Dir schenken.“

Da versprach ihm das Mädchen, daß es gewiß Alles so machen wollte, wie er es gesagt hatte, und gieng gleich an den beiden nächsten Morgen in den Rosengarten und pflückte sich Rosen, aber keine von dem verbotenen Stocke. Als sie aber am dritten Morgen wiederkam, da waren gerade an diesem Einen Stocke so viele und so prächtige Rosen aufgeblüht, daß sie dabei stehn bleiben mußte und sie nicht genug betrachten konnte und dachte: „das sind einmal schöne Rosen! von denen möchte ich wohl eine haben! wenn es nur das schwarze Männlein nicht sähe!“ Und dabei kam es ihr vor, als ob Jemand ihre Hand an den Rosenstock hinzöge, und dann dachte sie: „was kann denn das schaden, wenn ich ein paar abpflücke! das Männlein wird’s nicht merken; es ist ja nicht einmal hier!“ Und alsbald langte sie zu und brach sich ein paar Rosen von dem verbotenen Stocke.

Empfohlene Zitierweise:
Ernst Meier: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. Scheitlin, Stuttgart 1852, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meier_Volksm%C3%A4rchen_aus_Schwaben_126.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)