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Die Verletzung des Briefgeheimnisses im Reichstag. Abg. Zubeil: Ein sehr schwarzes Kapitel, das an die schwärzeste Reaktionsperiode des vorigen Jahrhunderts erinnert, ist die Verletzung des Briefgeheimnisses. Unser Ansehen im Auslande kann dadurch nicht gefördert werden. Es ist gar keine Rede mehr davon, daß, wie Herr Stephan einst mit Stolz sagte, der Brief bei der Post so heilig sei wie die Bibel auf dem Altar. Unser Antrag fordert mit Recht, daß die Postbeamten dem Ersuchen von Militärbefehlshabern auf Verletzung des Briefgeheimnisses keine Folge leisten. Die militärischen Befehlshaber sind keine Vorgesetzten der Postbeamten, aber auch abgesehen davon, dürfen Befehle, die im Widerspruch mit dem Gesetz stehen, nicht ausgeführt werden, und der Reichskanzler hat alle Ursache, dem Gesetze Achtung zu verschaffen.

Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke: Es kann gar keine Rede davon sein, daß Postbeamte das Briefgeheimnis verletzen. Gesetzmäßigen Beschlagnahmen müssen sie natürlich Eolge leisten.

Abg. Stadthagen: Der Staatssekretär sprach davon, daß die Postbeamten gesetzmäßigen Beschlagnahmen Folge leisten müssen. Ihm ist aber bekannt, daß in der Kommission Fälle vorgetragen worden sind, in denen nicht auf richterliche Anordnung, sondern auf Anordnung vom Generalkommando Briefe geöffnet worden sind. Dazu hat der Staatssekretär erklärt, er wäre dafür nicht verantwortlich. Ein solcher Zustand aber ist rechtswidrig. Der Staatssekretär geht um die Sache herum. Er müßte klipp und klar erklären, daß er auch gegenüber Anforderungen vom Generalkommando keine Gesetzesverletzung zulassen wird. Wo soll es hinführen, wenn ein Staatssekretär strafbare Handlungen soll begehen dürfen, wenn es ein Generalkommando will. Wir verlangen Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses auch gegenüber Generalkommandos. Strafbare Handlungen dürfen von den obersten Beamten des Reiches nicht geschützt werden.

Ministerialdirektor Lewald: Ich muß die Behauptung, daß Stellvertretende Kommandierende Generale, wenn sie die Oeffnung von Briefen anordnen, etwas Strafbares tun, entschieden zurückweisen. Unter dem Belagerungszustand sind bekanntlich eine Reihe Garantien der persönlichen Freiheit aufgehoben. Dazu gehört es auch, daß über gewisse Personen Briefsperre verhängt und festgestellt wird, mit wem sie korrespondieren. Das geschieht auf Grund der Aufhebung der betreffenden Bestimmung der preußischen Verfassung unter dem Belagerungszustandsgesetz. Das hat auch das Reichsgericht anerkannt.

Abg. Stadthagen: Das Gegenteil ist richtig. Durch Aufhebung eines Artikels der preußischen Verfassung, der sich nicht mit der Briefsperre beschäftigt, kann nicht eine

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Menschen- und Völkerleben 1 (1916), Heft 6/7. Langguth, Esslingen am Neckar 1916, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Menschen-_und_Voelkerleben_1916_Heft_6-7.pdf/30&oldid=- (Version vom 25.2.2024)