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Seite:Meyers Universum 1. Band 1. Auflage 1833.djvu/128

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wunderliche, stets wechselnde Staffage keinem Gefühle der Einförmigkeit Raum. Bald sind es seltsam mit Schnitzwerk und Vergoldung verzierte Wagen ohne Deichsel und von Kutschern regiert, die in blauen Westen, kurzen schwarzen Hosen, schwarzen Strümpfen und Schuhen mit großen silbernen Schnallen, das Groteske vollenden; bald sind es zu Drachen und Ungeheuern verschnittene Taxusbäume, oder mit weißer und bunter Oelfarbe angestrichene Lindenstämme; bald die mit vielen Thürmchen moscheenartig verzierten Schornsteine; bald die aus Gärten durch’s Gebüsch lauschenden lebensgroßen Marmorstatuen in der Hofkleidung des Louis Quatorze; bald die jungen baus- und rothbäckigen Mädchen und Knaben, die in spiegelblanke große Messingkrüge die Kühe auf den Wiesen melken; bald so viele andere fremde und ungewohnte, dem Ausländer oft phantastisch vorkommende Gegenstände der Landes-Art und Sitte, welche jeden Moment dem Auge eine andere Scene bereiten und dem Ganzen ein vollkommen eigenthümliches, ächt nationelles Gepräge aufdrücken. Mit dem ersten Fußtritt auf holländischem Boden wacht auch das Bewußtseyn auf, daß man sich unter einem selbstständigen, fest und rein ausgeprägtem Volke befindet. In allen äußern Erscheinungen ist ein bestimmter Charakter – und die Menschen! Ihr Gesicht hat Ausdruck, ein Zug läuft durch Alle – das Volksbild hat Haltung. Mit all’ ihren Fehlern und Gebrechen, so barock uns auch manche erscheinen mögen – sind doch die Holländer ein großes Volk! Sie sind keine allenthalben umherlaufende, oft abgegriffene, verwischte, starklegirte Scheidemünze; es ist ein gehaltvoller Schlag, treuherzig und leichtgläubig wie die Deutschen, schwerfälliger noch, reicher an geduldigem Fleiß, ihnen zwar durch die Sprache nahe verwandt, aber durch Sitten und Lebensweise gänzlich von ihnen verschieden. Einzig steht es da, immer dasselbe, in dieser Zeit der Volks- und Stamm-Mengerei, wie eine Oase in der Wüste.

Wir kommen der Hauptstadt näher. Die immer zunehmende Menge, Größe und Mannichfaltigkeit der Gärten und Landhäuser verkündigen sie schon in bedeutender Ferne. Endlich hat man sie erreicht. Zwischen den Häußerreihen sieht man staunend breite Kanäle, eingefaßt mit hohen Bäumen, deren Zweige mit den bunten Wimpeln der Schiffe kosen. Ueberall Krahnen, Maste, Nachen, Waare ladend, Waare bringend; überall Leben und Thätigkeit. Alles kündigt die große See- und Handelsstadt an, das Venedig des Nordens.

Amsterdam ist in der Form eines Halbzirkels gebaut, dessen breite Seite dem Y, einem Arm der Zuidersee, zugekehrt ist, welches zugleich seinen Hafen bildet. Der Grund, auf dem es steht, war ein bodenloser Morast, zum Theil selbst von den Fluthen des Y überdeckt; die Stadt mußte daher, gleich ihrer südlichen Schwester, auf Pfähle gesetzt werden. – Im Halbkreise durchziehen sie 4 Reihen von breiten für Seeschiffe zugänglichen Kanälen, welche mit einander durch eine Menge kleinerer in Queerverbindung stehen. Diese zerschneiden die Stadt in etwa 90 Inseln, welche durch 300 Brücken mit einander verbunden sind. Darunter sind manche so groß, daß Seeschiffe durchsegeln