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Seite:Meyers Universum 1. Band 1. Auflage 1833.djvu/136

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begann ihr höchster Flor. Byzanz zählte zur Zeit Constantins über eine Million Einwohner und war die größte und schönste Stadt des römischen Ostens.

Der ebengenannte Kaiser wählte das alte Byzanz zu seiner Residenz. Er ließ ganze Stadtviertel niederreißen und neu bauen, andere durch Palläste, Theater, Bäder verschönern, zahllose Kunstwerke aus allen Theilen Griechenlands und Italiens, ja selbst aus Rom in sie versetzen, die reichsten Familien Italiens übersiedeln, und gab ihr so binnen wenigen Jahren einen Glanz, der selbst den der herrlichen Roma verdunkelte. Er schuf aus ihr gewissermaßen eine neue Stadt, zehnmal herrlicher als sie früher gewesen, und nannte sie nach sich Constantinopolis, die Stadt des Constantin. Doch nur zu bald, mit dem Verfall des Römerreichs unter seinen Nachfolgern, begann auch der der Kaiserstadt. Das Westreich sank unter den Streichen der Barbaren; das Ostreich wurde mehrmals von Hunnen, Avaren, Persern geplündert, verheert. Innere Kriege zerfleischten es; also vielfach geschwächt, konnte es den sich um das Jahr 630 entspinnenden achthundertjährigen Kampf mit den Arabern, die unter Mahomed und seinen Nachfolgern als eroberndes Volk auftraten, nur mit immer wachsendem Nachtheile fortsetzen. Schon in den ersten 11 Jahren des Kriegs gingen die schönsten Provinzen in Asien und Afrika – Phönizien, die Länder am Euphrat, Judäa, Syrien und ganz Aegypten – an die Mohamedaner verloren; dreißig Jahre später ganz Nordafrika und Sicilien. Schon belagerten sechs Jahre hinter einander die Türken Constantinopel; dießmal fruchtlos. Binnen einem Jahrhundert später wurden alle übrigen Provinzen in Asien (Kleinasien allein ausgenommen) harterstrittene Beute der Araber; Italien die der Longobarden. Thrazien wurde von Türken und den nordischen Raubvölkern abwechselnd geplündert. Constantinopel war öfters zur Selbstvertheidigung genöthigt, seine Handelsflotten wurden verbrannt oder geplündert. Auswanderung und Krieg brachten seine Einwohnerzahl auf die Hälfte herab. Empörungen, Thronentsetzungen, Hinrichtungen, färbten die Straßen der Hauptstadt unaufhörlich und lange Jahre hindurch mit Blut. Die zahllosen wilden Kreuzfahrerhorden kamen als Freunde und Beistand gegen die Türken; hausten aber wie blutdürstige Feinde, plünderten und brandschatzten, setzten Kaiser ein und Kaiser ab und übten gesetzlose Herrschaft. Endlich wurde Constantinopel von ihnen, die die Oströmer Lateiner nannten, förmlich in Besitz genommen (1204), und ein flandrischer Graf, Balduin, herrschte in ihr als Kaiser, während in den Provinzen völlige Anarchie waltete. In Nizäa, in Trapezunt, spielten Sprößlinge der vertriebenen Regentenfamilie die Kaiserrolle, in kleinern Orten Usurpatoren die der Könige. Constantinopel sank mehr und mehr, zumal nachdem die Türken die Lateiner und Byzantiner aus Palästina und dem ganzen Orient vertrieben hatten. 1357 brachen sie nach Europa auf, um die Unterjochung des oströmischen Reichs zu vollenden. Sultan Murat eroberte 1361 Adrianopel, und das einstige Weltreich war fortan auf die Mauern von Constantinopel beschränkt. Noch fast hundert Jahre vegetirte dieser Schattenstaat unter der Vormundschaft der Genueser oder Venetianer, die abwechselnd in demselben die Herren spielten, bis ihm endlich durch die Erstürmung Constantinopels am 29. Mai 1453 durch die Türken unter