Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
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Jahrhunderte lang gegen den Islamismus und auch dann noch bestand, als schon Vasco de Gama und Columbus dem Welthandel neue Bahnen gewiesen, die Reichthümer, die er giebt, in andere Canäle geleitet hatten! Und nie vielleicht hätte Venedig seine Macht nach außen verloren, hätte es seine Freiheit im Innern sich zu bewahren gewußt. Jene sank erst dann, nachdem diese untergegangen und der Bürger Sklave geworden war einer enggeschlossenen Erbaristokratie (der im goldenen Buche eingezeichneten Familien der Nobili); nachdem die freiste Verfassung, gestürzt worden durch den verschworen Adel und die Republik nach und nach ausgeartet war in einen Bund von 1000 kleinen Tyrannen, welche, stolzer und reicher als Könige, für die verlorne Macht in der Fremde Entschädigung suchten durch Tyrannei im Innern und einen Despotismus über ihre Mitbürger übten, gräßlicher und treuloser als je ein Machiavell ihn für Könige erdacht oder ein Caligula oder Tiber ihn geübt haben. Wer kann sich, ohne Verachtung und Abscheu zu fühlen, erinnern dieses Systems der vollendetsten Aristokraten-Tyrannei, erzeugt in der Wiege der Freiheit und aufgezogen an ihren Brüsten!
In dem an Heroen des Bürgersinns, des Kriegs, der Staatsweisheit, der Wissenschaft und der Kunst so überreichen Venedig sehen wir fortan die Adelsgewalt mit mehr Schrecken ausgerüstet, als je die eines Alleinherrschers umgab; wir sehen da die erbarmungsloseste Schreckensherrschaft aufgerichtet, welche, oft ihre eigenen Glieder zermalmend, mit eiserner Faust den wankenden, in seinen Grundfesten morschen Staat noch für ein paar Jahrhunderte zusammen hält; wir sehen hervorgehen aus ihr jene verachtungswürdige Politik, welche die Erhaltung des Friedens nach Außen um jeden Preis als obersten Grundsatz bekannte; sehen die Aristokratie ein volles Jahrhundert lang, feig und niederträchtig, markten mit den fremden Mächten um die elende bloße Fristung des Staatslebens während sie nach Innen dessen Erhaltung auf die Erfolge der Angeberei und der Spionage, auf die Furcht vor heimlichen Gerichtshöfen und Hinrichtungen baut, auf die Schauer der Seufzerbrücke und jener Bleikammern, in denen man die Opfer, die die Feigheit nicht mehr zu morden wagte, Jahre lang sterben ließ. – Wir erinnern uns endlich, aus der Zeit gänzlichen Sittenverfalls, jenes Saals, wo die ehrlosen Nobili’s, acht Hundert an der Zahl, nachdem sie sich das Privilegium des Hazardspiels zugeeignet, täglich in der Robe der Senatoren und Gesetzgeber an achtzig Spieltischen sich den Plebejern Stunden- und Tag- weise vermietheten als feile, schimpfliche Werkzeuge der verächtlichsten Leidenschaft; jenes denkwürdigen Augenblicks, wo, als diese sittenlosen, stolzen, feigen Bürger-Tyrannen, äußere Gefahr durch Demüthigungen abzuwenden lange gewohnt, vor dem großen Corsen krochen und die Respektirung des Gebiets der Republik – erbettelten, vergebens erbettelten; jener letzten Senatsversammlung, als der Doge, – auf die Nachricht, die Franzosen blockirten den Hafen, – jammernd ausrief: O die Kanonen werden uns noch heute Nacht im Schlafe stören! Und er, diesem Unglück zuvorzukommen, dem Senat zur Unterwerfung an die Franzosen, ohne einen Schwerdtschlag zu versuchen, rieth und – mit Erfolg
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/14&oldid=- (Version vom 1.6.2024)