Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band | |
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von Woolwich bis Chelsea, in der Richtung von Ost nach West, eine Durchschnittslinie von 11½ englische Meilen, in der von Nord nach Süd, von Highgate bis Brixton, aber eine von 9 Meilen Länge gibt. Der Umfang der Metropole ist dann 34 engl. Meilen oder 16 Stunden. Es leuchtet ein, daß jede Bestimmung von ihrer Größe bei dem steten Anwachsen derselben – (jährlich baut man durchschnittlich 5000 neue Häuser hinzu, folglich eine größere Anzahl, als ganz Frankfurt besitzt) immer nur für den Augenblick gelten kann. Kein Jahr vergeht, ohne daß nicht mehr benachbarte Orte dem großen Ganzen angeknüpft werden. –
Unabhängig von seiner politischen Eintheilung zerfällt London in sittlicher und gesellschaftlicher Beziehung gleichsam in 5 verschiedene Städte. Das Westende der Stadt, aus den schönsten Plätzen und Straßen bestehend, ist die Residenz des Hofes, des Adels, der Sitz der gesellschaftlichen Verfeinerung, der Pracht, des Reichthums, der elegantesten Läden, kurz der Mode und des Glanzes. – Die City (Altstadt), ist das Herz des Riesenkörpers. Hier ist der Mittelpunkt der Handelswelt, der großen Geschäfte aller Art, der Haupt-Wechsel- und Geldmarkt für ganz England und für die Welt. Hier sind die großartigsten Anstalten zur Förderung und zur Erleichterung der Geschäfte, die Börse, die Bank von England, Lloyds Caffeehaus mit den Bureaus aller Assekuradeure, die Contors unzähliger Lebens- und Feuerversicherungsbanken, die Getreide- und Stocksbörsen, das Generalpostamt, die Haupt-Zoll- und Accise-Aemter; die Paläste und Bureaus der Ostindischen-, der Südsee-, der Hudson-Bay-Compagnie; die Auktionssäle für die Waarenverkäufe im Großen, für die Versteigerungen von Plantagen und Gütern in den brittischen Colonieen; hier haben die großen Kaufherren, die Geld-Könige, die Rothschild’s und Baring’s, welche ihre Geschäfte und Vermögen nach Millionen zählen, ihre städtischen Wohnungen und bis zum Mäkler herab, der ihre Geschäfte vermittelt, ihre dunkeln Contore. Hier ist auch der Sitz des Lord-Majors und aller städtischen Behörden. – Die Hunderttausende, welche von den Hülfsleistungen leben, welche die unermeßlichen City-Geschäfte bedürfen, bewohnen das Ostende (EASTEND) der Stadt. Hier trifft man, der Themse entlang bis hinunter nach Woolwich, die Schiffswerfte an, die städtegroßen Magazine, die Docks und ihre Wunder; da sind auch die langen, engen und schmutzigen Gassen, wo jedes Haus einen Schild hat und hinter jedem die Unzucht und die Völlerei einen Tempel. Hier ist die Residenz der Matrosen, der Schmuggler, der Trödler, der Diebshehler, der Juden, der Gaunerei in allen Gestalten. – Im Aeußern dem östlichen Stadttheil ähnlich (doch nicht ohne einige recht schöne Hauptstraßen) ist die Borro (Borough, Southwark). So heißt die auf der andern Seite der Themse gelegene kleinere Stadthälfte. Dort ist der Sitz der großen Manufakturen, der Brenn- und Brauereien; dort wohnen die Großhändler in Hopfen, Saaten und Getreide; dort sind die Metall-Fabriken, welche aus den thurmhohen Schlöten schwarze Säulen giftigen Rauchs in die Höhe senden, aus denen eine Wolke entsteht, welche Jahr aus Jahr ein über diesen Stadttheil am Himmel schwebt. Hier hört man der Dampfmaschine, des Herzens des englischen Fabriklebens, unheimliche Pulsschläge bei jedem Tritte; hier ist endlich die weltberühmte „Republik der zahlunfähigen Schuldner“ mit ihrer Kingsbench und deren eine Menge Straßen einschließenden „Freiheit.“ – Wir wenden uns von da in das eigentliche Westminster, in den zwischen der City und Charingcroß (dem Westende), liegenden Theil London’s. Es ist die Stadt der Gerichtshöfe, der Advokaten, der juristischen Seminaarien, der niedern Beamten. Hier sind die großen Theater und in deren Nähe jene berüchtigten Häuser der Gelegenheit für die gröbste Unsittlichkeit, für Verführung und schaudervolle Verbrechen. – Da und im nordwestlichen Ende der City gibt es auch jene langen, engen, dunkeln Gäßchen mit den hohen Häuserchen und zerbrochenen
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1835, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_2._Band_6._Auflage_1835.djvu/130&oldid=- (Version vom 22.6.2024)