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Seite:Meyers Universum 3. Band 1836.djvu/107

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Die Florentiner waren nicht säumig, Pisa’s Entschlossenheit zu prüfen. Im Bunde mit andern Staaten drangen sie, mit gewaltiger Heeresmacht, von verschiedenen Punkten her auf die ihrer Mauern und Wehren während der Zeit der Unterdrückung beraubte Stadt. Am letzten Juli 1499 nahm die Belagerung ihren Anfang. 80,000 zählte das Heer der Verbündeten. Eine auch nur 14tägige Abwehr schien schon eine Unmöglichkeit. Aber während die Männer mit eisernem Muthe die verwüsteten Mauern und die verschütteten Gräben vertheidigten und die unaufhörlichen Stürme zurückschlugen, schanzten die Frauen und Kinder hinter ihnen an neuen Werken. Einst, als der Feind eine Bastion genommen hatte, warfen sich die Weiber den schwankenden Männern mit entblöster Brust entgegen, und den Tod fordernd, trieben sie solche verzweiflungsvoll zum Sturme der verlassenen Werke zurück. Durch solche Thaten ward die Stadt gerettet. Als 20,000 der besten Krieger den Florentinern gefallen waren, hoben diese die Belagerung auf (am 4. September) und zogen ab. – Die kurze Waffenruhe, welche folgte, benutzten die Pisaner klüglich, ihre Stadt auf das stärkste zu befestigen und große Vorräthe von Lebensmitteln in dieselbe zu schaffen, wohl wissend, daß die Erbfeinde ihnen keine lange Rast lassen würden. Und so geschah’s. Die Florentiner riefen ein französisches Heer, dem gelingen sollte, was sie selbst vergebens versucht hatten. Es kam, 30,000 Mann stark; doch die Belagerung endigte, wie die erste, zum Verderben der Angreifenden. Nun hatten die Pisaner Ruhe bis zum Jahre 1504. Da unternahm Florenz zum drittenmal Pisa’s Belagerung, mit der furchtbarsten Heeresmacht, die es je in’s Feld geführt. 20,000 Landleute wurden verwendet, um den Arno abzugraben, der die Gräben der Stadt mit Wasser füllte. Durch tägliche Ausfälle wurde dieß listige Unternehmen jedoch vereitelt. – Unter wiederholten Angriffen, die stets abgeschlagen wurden, verstrich ein halbes Jahr; am Ende geriethen die Befehlshaber der Belagerer unter sich in Streit und letztere zogen abermals ab. Im nächsten Jahre versuchte man eine vierte Belagerung mit gleichem Erfolg. Ihr folgte eine fünfte, die jedoch nicht mehr die Eroberung des Platzes durch Waffengewalt, sondern durch Hunger zum Ziele hatte, und in einer engen, undurchdringlichen Einschließung bestand. Drei Jahre hielten die Pisaner aus unter den furchtbarsten Entbehrungen. – Wie einst in Jerusalem sollen Mütter ihre Kinder geschlachtet, ja Väter sich selbst ermordet haben, um ihren Angehörigen Nahrung zu verschaffen! Gespenstern gleich schlichen die Ausgehungerten auf den Mauern und Wällen umher, und am Ende waren kaum noch 3,000 übrig, fähig die Rüstung zu tragen. Vergeblich forderten die Verzweifelnden ihre Peiniger zum Sturme auf, um mindestens den leichtern Kriegertodt sich zu erkämpfen. Die Florentiner gingen nicht aus ihren Verschanzungen, welche die Stadt undurchdringlich umgürteten, ihrem mächtigen Alliirten, dem Hunger, die Eroberung überlassend. – Als nun die letzten Reste der Nahrungsvorräthe vertheilt und aufgezehrt waren, als die letzte Hoffnung, das Unabwendbare abzuwenden, verschwunden war, übergab man (am 8. Juni 1509) den Florentinern die Stadt. So fiel, Pisa – und es hörte für immer auf, frei und selbstständig zu seyn. – Auf seinem Ruin, der von Jahr zu Jahr fortgewachsen ist, erhob sich Florenz und die Macht Toskana’s. Dürftigkeit trat an die Stelle des grenzenlosen Reichthums, und die Zahl seiner Bewohner, einst 180,000, ist im Lauf der Jahrhunderte bis auf 18,000 geschwunden.