Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
|
der des Friedens, des Antonin und der Faustina, des Mars und des Saturnus noch köstliche Trümmer zurückgelassen haben. Rückwärts aber stieg das Amphitheater des Flavius empor (nach einer vor demselben aufgestellt gewesenen Riesen-Statue des Sonnengotts, von 150 Fuß Höhe, das Colosseum genannt), und weckte durch das Ungeheuere seiner Masse und durch die einfache Pracht seiner Bauart das höchste Erstaunen. Von diesem Wunderwerke haben sich die nördliche Hälfte und die Substruktionen der südlichen ganz erhalten. Nach außen bildete es eine etwas eiförmige Rotunde, hundert und sechzig Fuß hoch und fast achtzehnhundert im Umkreis, welche ein dreifacher, über einander gethürmter Säulenkranz umlief. Säulen und Außenmauern bestanden ganz aus weißem, tiburtinischen Marmor. Die Arena im Mittelpunkte des innern Raums hatte sechshundert Fuß Umfang und konnte zehn tausend Kämpfer auf einmal fassen. Der ganze Zwischenraum, der die Arena von der äußern Mauer trennte, war mit steinernen, stufenweise sich übereinander erhebenden Bänken ausgefüllt, auf welchen über hundert und zehn tausend Zuschauer Platz hatten. Die untersten Reihen waren für die Vestalen und Senatoren, über ihnen saßen die Ritter, über diesen die Bürger, auf den höchsten endlich die Matronen. Ganz oben standen zehntausend Sklaven, welche einen schirmenden Teppich, oft von der kostbarsten, mit Gold und Perlen gestickten Arbeit, oder mit den herrlichsten Gemälden geschmückt, über alle Sitze gespannt hielten. Die gewölbten Räume unter den Sitzen waren Behälter für die zum Kampf bestimmten reißenden Thiere, für die ihnen zu Schlachtopfern ersehenen Menschen, für die Gladiatoren, und für einen Theil der Leibwache des Kaisers, dessen Pallast durch einen Portikus mit dem Colosseum verbunden war.
Vespasian baute dieses Theater mit einem Aufwande von 35 Millionen Gulden. Er verwendete dabei 12000 gefangene Juden, von denen die Hälfte über der harten Arbeit und durch Unglücksfälle starb. Titus weihete es ein, und sein Bruder und Nachfolger, Domitian, gab hier die größten Kämpfe, welche das blutgierige, in der Grausamkeit Wollust findende Rom je gesehen hatte. Tausende der ersten Christen starben hier, wilden Thieren hingeworfen, den Märtyrertod. Zuletzt hatte sich das entartete römische Volk so an die Lust des Blutvergießens gewöhnt, daß es diese Augenweide gar nicht mehr entbehren konnte, und Vornehme sich Sklaven hielten, bloß zu dem Zwecke, daß sie sich einander bei den Hausfesten und Gastmälern würgten. Ja, ergriffen von der Wuth der Blutgier stürzten sich oft Ritter und Senatoren in die Arena, und hauchten unter den Klauen der Bestien, oder den Schwertern der Gladiatoren freiwillig ihr Leben aus. Kaiser Commodus spielte im Colosseum mehrmals die Rolle des öffentlichen Fechters. Trajan gab hundert und zwanzig Tage hinter einander Schaukämpfe, und an jedem Tage erschienen zehntausend Streiter. So ging die Blüthe der unterjochten Nationen zu Grunde! So wurde die Welt ausgesogen und ganze Provinzen entvölkert, um das tägliche Geschrei nach Brod und Spiel (PANIS et CIRCENSES!) des zu einer arbeitsscheuen Hyänenrotte herabgesunkenen Römervolks zu sättigen!
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/152&oldid=- (Version vom 4.8.2024)