Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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ihrer Berge eine Veste: Suli. An den Engpässen, die über das Gebirge in die Ebenen führten, legten sie Verschanzungen an, und als durch immerwährende Zuzüge von griechischen Flüchtlingen ihre Anzahl auf einige Tausende angewachsen war, errichteten sie Burgen und Castelle auf allen Höhen. Sie bildeten einen Staat, der patriarchalische, rein republikanische Formen hatte. Jeder Hausvater war Herr in seiner Familie, im Staate waren Alle gleich. Für die Vertheidigung ihrer Unabhängigkeit mußte Jedes, das Waffen tragen konnte, ohne Unterschied des Geschlechts, oder Alters, das Leben einsetzen, und Türkenhaß war Allen ein heiliges Gebot. Gesetzbücher duldeten sie nicht; alle Streitigkeiten wurden nach den Diktaten der Vernunft und allgemeinen Moral geschlichtet. Viehzucht in den engen Thälern, Jagd in den nahen Wäldern, zumeist aber Plünderung der Türken und ihrer Freunde, waren der Erwerb dieses Volkes, in welchem sich, unter den Einwirkungen jener Verhältnisse, bald Wildheit, Unerschrockenheit, Tapferkeit, Ausdauer in Ertragung der härtesten Entbehrungen, List und Schlauheit als allgemeine Charakterzüge kund thaten. Die Sulioten wurden der Schrecken der türkischen Bevölkerung ganz Albaniens und Livadiens, und ihre Raub- und Streifzüge reichten zuweilen bis zum Oeta hin. Vergeblich sendeten die Türken mehrmals bedeutende Heere zu ihrer Vertilgung. Selten drangen die Feinde bis in ihr Gebiet, nie überwanden sie die Vesten, von denen Suli, erweitert und durch neue Werke immer mehr verstärkt, als unüberwindlich angesehen wurde. Ali, Pascha von Janina, schlau, tapfer, ein Teufel in Menschengestalt, der sich vom Bettler zum mächtigsten Vasallen und glücklichsten Rebellen der Pforte aufgeschwungen, verwendete 13 Jahre lang seine Schätze und Heere zur Erdrückung der Sulioten vergeblich; in diesem Kampfe, der einem Romane gleicht, fielen 40,000 Türken von den Kugeln und dem Schwerte der kleinen Schaar; und als die Sulioten, von Hunger und Verzweiflung getrieben, die Vertheidigung ihres Ländchens nicht länger fortsetzen konnten (1803), dann, die Aufopferung des Vaterlandes der Unterdrückung vorziehend, übergaben sie die Burgen gegen freien Abzug, und wanderten mit Weibern und Kindern nach Zephalonia, wo sie eine Freistätte fanden. Ali schleifte die Castelle bis auf die festesten, in welche er Besatzung legte. – Lange Jahre nachher wurde bekanntlich der rebellische Ali von dem Sultan auf’s äußerste bedrängt und in Janina belagert. In dieser Noth sandte er seinen Enkel an die Suliotenhäuptlinge nach Zephalonia, versprach ihnen Rückgabe ihres Gebiets und Anerkennung ihrer Unabhängigkeit, und als Bürge dieses Versprechens den Enkel selbst als Geißel, wenn sie ihm gegen die Türken ihren tapfern Arm leihen würden. Nun kamen, unter Führung des kühnen Marco-Bozzaris, die Sulioten herbei, nahmen Besitz von ihrem Berglande und kämpften für Ali mit glänzendem Erfolge. – Erst dann unterlag der alte Tyrann, als er Schurkereien gegen die Sulioten, die er tödtlich haßte, verübte und darauf von diesen verlassen wurde.
Nach Ali’s Fall zog der Heerführer der Türken, Reschid Pascha, (1822) unversehens vor ihre Felsenvesten und schloß sie ein. Dem Hunger preisgegeben, übergaben die Sulioten, nachdem alle Subsistenzmittel erschöpft und selbst
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/87&oldid=- (Version vom 2.8.2024)