Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band | |
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wie ein schmaler Gemspfad wird, auf dem ein menschliches Wesen nicht fußen kann, und der schon auf halber Höhe sich dem Blicke spurlos entzieht, schien die ganze Gesellschaft von Entsetzen ergriffen. Doch nur für einen Augenblick war’s; denn bald sahen wir 2 oder 3 Pygmäengestalten weiße Tücher von der Höhe schwenken und unsere große Unionflagge, die von der Plattform am Eingange herabflatterte. Wir begrüßten sie mit einem dreifachen Hurrah, und kaum konnte der feurige Muth bei einem köstlichen Frühstück zurückgehalten werden, welches, durch die Vorsorge unseres gastfreien und aufmerksamen Konsuls, in einem luftigen kühlen Zelte, dicht am Fuße des Aufgangs servirt war.
Gestärkt und mit fröhlichem Jauchzen ging’s zum Steigewerke. Vielfache Wetten, wer zuerst zum Ziele gelangen werde, machten eine gewisse Ordnung nothwendig, und auf ein gegebenes Signal setzte sich Alles in Bewegung. Unsere beiden Damen, unter der besondern Leitung ihres Vaters, zweier Offiziere und einiger Guiden, bildeten die Arrieregarde. –
Die Weise des Hinansteigens ist folgende. Man stelle sich eine Treppe vor, welche für Riesen gemacht zu seyn scheint: denn jede Stufe ist vier Fuß breit und reicht einem Manne bis zur Hüfte. Eigentliche Gefahr war also, wenn auch ja einmal ein Aufschwingen zur nächsten Stufe nicht gelingen sollte, wegen der Breite der frühern, nicht zu fürchten; nur durch Schwindel konnte welche entstehen, oder wenn der Aufsteigende auf verwitterte Stellen traf, welche kein sicheres Fußen auf dem zerbröckelten Gestein gestatteten. Diese letztere Gefahr entfernten Araber, welche den Weg vorher untersucht hatten und die an jede bedenkliche Stelle postirt waren, um die Gesellschaft zu warnen. Für die Damen hatte man ein kleines, mit Anhaltstäben versehenes Treppenleiterchen mitgenommen, welches von Stufe zu Stufe gestellt den Aufgang erleichterte. Einer unserer Offiziere aber, der Vordersten einer, nachdem er drei Viertel des Wegs und die schwierigsten Theile desselben zurückgelegt hatte, bekam plötzlich so argen Schwindel, daß er sich, um Hülfe rufend, fest klammerte, und durch kein Mittel zu bewegen war, das Ziel zu verfolgen. Er zitterte wie Espenlaub und der Angstschweiß rann stromweise an ihm herab. Zwei der arabischen Guiden brachten ihn, der mit verbundenen Augen rückwärts von Stufe zu Stufe kletterte, nicht ohne eigene Lebensgefahr glücklich wieder hinab auf ebenen Boden.
Nach fast dreiviertelstündigem Steigen, während dessen wir unsern Gefühlen des Erstaunens und der Freude durch häufige Exklamationen Luft machten, hatten wir endlich alle mit einander glücklich die letzte Stufe erklimmt und wir standen am Ziel. Eine ebene Plattform von 32 Quadratfuß bildet den Gipfel dieser und der andern beiden Pyramiden, welche in einiger Entfernung dem Auge zugespitzt erscheinen. Die Steinwürfel, welche die Plattform zusammensetzen, sind vom härtesten Granit, und ohne alle Bindemittel so dicht an einander gefügt, daß wir vergeblich versuchten eine Messerklinge zwischen ihre Fugen zu drängen. Wir schätzten das Gewicht jedes einzelnen Würfels auf mindestens 3000 Pfund. Einige der höchsten Stufen bestanden aus Blöcken, welche
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1837, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_4._Band_1837.djvu/12&oldid=- (Version vom 6.9.2024)