Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band | |
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der politischen Macht, oder sie bot sich als ein immer bereites Mittel dar, die leichtgläubige Menge zu leiten, dessen sich bald leichtgläubige Menschen selbst, von ihren eigenen Träumen betrogen, bald kühne Menschen, von starker Seele, zu ehrsüchtigen Zwecken, bald tugendhafte und wahrhaft große Menschen für ihre Pläne zur Veredlung ihres Geschlechts mit mächtigem Erfolge bedienten.
Moses, der Gesetzgeber der Israeliten; fünf Jahrhunderte später Zoroaster, und, vor diesem und Moses, Menu, der indische Glaubensfürst, waren solche Menschen. Dieser, wahrscheinlich ein aus Aethiopien geflüchteter Schismatiker, führte an den Ufern des Ganges die Lehre von den drei Urkräften, oder der Dreigottheit ein; die nämliche, welche auch später aus Aegypten an die Griechen, nur mit einigen Modifikationen, überging. Diese indische Dreieinigkeit nennt Brahma (Jupiter) den Urheber aller Erzeugung (der Schöpfung), Schiwa (Pluto) den Geist der Zerstörung; und als Gott-Erhalter Wischnuh (den Neptun). Pythagoras und Plato haben dieses System verfeinert, und in den jüngsten Religionen begegnen wir ihm unter andern Formen wieder.
Menu war ein eben so glücklicher als schlauer Betrüger. Nie ist aus dem Kopfe eines Sterblichen eine Religion hervorgegangen, welche, wie die Seinige, über die Menschen eine so unumschränkte Herrschaft übt, und der Priesterkaste eine so erhabene Stellung einräumt. Der Charakter, die Sitten, die Lebensart des Volkes bis auf die kleinsten Verrichtungen ist ihr Werk, und der vollkommenste Despotismus, der je auf Menschen drückte, erhält die unglücklichen Völker, welche ihr huldigen, mit tausend Banden so unauflöslich umschlungen, daß selbst der gewaltige Einfluß andersgläubiger Eroberer bis jetzt wenig an ihr zu ändern vermocht hat. Seit drittehalb Jahrhunderten herrschen mohamedanische, und seit einem halben Jahrhundert christliche Fürsten über die Hindus; aber unerschüttert, als wäre Menu’s Werk erhaben über allen irdischen Wechsel, steht noch immer das Ansehen seiner Priester. Sein System, das allen Rangunterschied erblich und persönlich macht, alle Vorrechte und Einschränkungen mit der Geburt verknüpft, und jedem der hundert Millionen seiner Gläubigen verbietet, das zu werden, wozu ihn die Natur geschickt macht, und das zu bleiben zwingt, wozu ihn die Geburt verdammt hat, – erhebt die Priesterkaste (die Braminen) zur Ebenbürtigkeit mit der lebendigen Gottheit, und umgibt sie mit einem strahlendern Nimbus, als die Götter selbst. Jeder Bramine, sey er auch der roheste, unwissendste und lasterhafteste Mensch, sey er, wie so viele Tausende es sind, ein in Lumpen gehüllter, schmutziger Bettler, ist höher gestellt in der Meinung des Volks, als der König, und wird verehrt als ein unmittelbarer Theil des höchsten Wesens. Seine Person ist unverletzlich unter allen Umständen; und selbst wenn er das Staatsoberhaupt mordet, darf er nur aus dem Lande gewiesen werden. Was er dem menschlichen Geschlecht verkündigt, ist ein Spruch der Allmacht. Geschick und Zufall dienen seinem Willen; und Wohl und Wehe jedes Einzelnen, wie ganzer Reiche, liegt in seiner Gewalt. Und vermöge dieses Glaubens ist der Bramine Herr des Vermögens und der Dienste jedes Hindus. Niemals ward ein großer Theil der Menschheit frecher, schändlicher und dauernder um seine natürlichen Rechte zum Vortheil Weniger betrogen! Alle europäischen
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1837, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_4._Band_1837.djvu/23&oldid=- (Version vom 9.9.2024)