Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band | |
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Ich stand im Begriff – so erzählt ein reisender Schwede – das türkische Gebiet zu verlassen. Ein großes Gebäude erhebt sich gerade auf der Grenze und steht halb auf österreichischem Grunde, halb auf wallachischem Boden. Zu beiden Seiten ziehen sich Pfahlzäune hin, an welchen ein paar tausend Kühe, Ochsen und Pferde entweder angebunden standen, oder von ihren Treibern hin- und hergeführt wurden. Ich ritt ein durch ein großes Thor. Das Innere des Raumes theilte eine lange Tafel. Es war gerade Markttag: auf der einen Seite standen die Walachen, größtentheils als Verkäufer; auf der andern ungarische und siebenbürgische Handelsleute, meistens Juden. Nach geschlossenem Handel ward das Geld auf den Tisch gezählt, das aus der Walachei kommende in Essig gelegt, das Vieh aber durch einen Teich getrieben und nach dieser Vorsichtsmaßregel von den Käufern nach Hause geführt. Auf gleiche Weise geschieht auf der ganzen türkisch-österreichischen Grenze der Verkehr zwischen den Landbewohnern, ohne daß Berührung oder Gefahr der Pestansteckung stattfindet.
Das Thal aufsteigend näherten wir uns der Contumazanstalt. Eine Schanze mit einer Batterie von einigen Kanonen bildet den ersten befestigten Punkt gegen die Walachei hin.
Diese Station, in einer Gebirgsgegend, von deren Höhen der Blick in das unabsehliche ungarische Flachland, welches die Theiß und die Donau wie zwei strömende Meere durchziehen, fällt, ist ein Glied des Sanitätscordons über Meer und Land, welchen Europa um das türkische Reich gezogen hat, um sich vor der Geißel der orientalischen Pest zu schützen. Das von Bären und Wölfen bewohnte Gebirge, welches den österreichischen Kaiserstaat, von der Donau bis zur russischen Grenze, von türkischem Gebiete scheidet, bildet eine natürliche, durch Militär-Cordons gesicherte Barriere, durch welche vier fahrbare Straßen führen. Die Quarantäne-Anstalten an denselben sind sich einander ziemlich gleich. Sie bestehen, außer den eigentlichen Contumazhäusern, aus einer Kapelle, einem Wirthshause, einem Hospitale, einer Waarenniederlage, einer Kaserne und den Wohnungen der Offizianten, unter denen sich immer auch ein Arzt, ein Apotheker und ein Wundarzt befinden.
Die Contumaz ist eine Haft besonderer Art und ihr ist Jeder, der, aus der Türkei kommend, österreichisches Gebiet betritt, ohne Rangunterschied unterworfen. Der Reisende wird zu einem der Contumazhäuser gewiesen: – hölzerner, mit Kalk getünchter, schlechter Baracken, welche isolirt stehen und deren jede mit einem hohen Pallisadenzaune umgeben ist. Innerhalb der Verpfählung angelangt, nähern sich ihm mehre Personen bis auf eine gewisse Entfernung. Ein Mann mit einem dicken Bund Schlüssel gibt ein Zeichen in’s Haus zu treten, und kaum ist der Fremde über die Schwelle, so wird die Thüre hinter ihm verschlossen. – Er hat dann Muße, sein Gefängniß
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1837, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_4._Band_1837.djvu/237&oldid=- (Version vom 8.10.2024)