Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band | |
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warf der empörte Ozean, bei Nordsturm, die Dämme nieder, die seine Herrschaft beengten und Stadt, und Volk verschlingend, nahm er schrecklichen Wiederbesitz vom alten Gebiet. In dieser fürchterlichen Nacht kamen viele Tausende um’s Leben. Aber mit beharrlichem Geiste richtete Franz der Erste, als er den Thron wieder bestiegen, sein Werk von neuem und nur um so fester auf, und bald war ein zweites Havre erstanden, schöner und größer als das erste. Noch einmal versuchte das Meer das alte Gebiet wieder zu erobern: zwölf Jahre nach der Wiedererbauung brachen bei Nordweststurm die Deiche, und die schrecklichen Wogen wälzten abermals Verwüstung in die unglückliche Stadt. Hundert und zwanzig Schiffe zertrümmerten im Hafen, oder scheiterten, ganze Straßen verschwanden vor der Wuth des erzürnten Elements und Hunderte von Menschen ertranken. Aber von diesem Zeitpunkt an, gleichsam als wenn mit diesem doppelten Sühnopfer das Meer befriedigt wäre, schloß sich die Pforte des Unglücks für Havre, und ein seltenes und beständiges Gedeihen gab für die ausgestandenen Prüfungen reichen Lohn. Franz der Erste errichtete Docks zum Bau der größten Kriegsfahrzeuge, und wenn auch das erste Linienschiff, welches hier gebaut wurde, so schwerfällig war, daß es nicht schwimmen konnte und das Gespött der Welt auf sich zog, so sah man doch sehr bald (1545) eine Kriegsflotte von 200 Segeln entstehen, welche, England mit einer Landung bedrohend, die stolzen Britten beunruhigte. Franz der Erste schlug eine Zeitlang seine Residenz hier auf und gab an Bord der Flotte die glänzendsten Feste. Bei einem solchen gerieth einst das Admiralschiff, auf dem der König eben Tafel hielt, in Brand, bald stand’s in vollen Flammen und die hohen Gäste hatten kaum Zeit sich zu retten. Aber der Etikette getreu, salutirte die Flotte bei des Monarchen Abfahrt, und, während 800 Kanonen donnerten, flog der flammende Dreidecker in die Luft. Ueber tausend Menschen büßten damals ihr Leben ein.
In den Kriegen zwischen England und Frankreich wurde Havre mehrmals erobert und wiedererobert; doch zog es aus diesen Wechseln gemeinlich große Vortheile. Kardinal Richelieu erweiterte den Hafen und errichtete eine Menge neuer Werke, Leuchtthürme, Magazine etc. zur Förderung und Erleichterung des Verkehrs. Doch erst Napoleon war der eigentliche Begründer von Havre’s jetziger Größe. Bei dessen Besuche im Jahre 1802 reifte in seiner Seele der Plan, Havre zum Emporium des französischen Seehandels zu machen, und Arbeiten wurden nun unternommen, die, bei Napoleon’s Sturz leider unvollendet und auch jetzt noch nicht beendigt, in Erstaunen setzen. Eins dieser Werke ist der neue Hafen. Er besteht aus 3 Bassins, tief und weit genug, um die größte Flotte der Welt aufzunehmen, und ist mit Schleusenthoren versehen, durch welche zwei Fregatten neben einander einfahren können. Auf der Rhede können 2000 Schiffe in vollkommener Sicherheit vor Anker liegen. – Festungswerke von uneinnehmbarer Stärke schützen Stadt und Hafen vor jedem Angriff. Napoleon verwendete auf diese Bauten 200 Millionen Franken und hat sich damit ein Denkmal gestiftet, seines Namens würdig.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1837, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_4._Band_1837.djvu/58&oldid=- (Version vom 11.9.2024)