Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band | |
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Als der Heiland lebte, war Jericho die zweite Stadt in Palästina; an Häuserzahl, Reichthum, Pracht und Volksmenge nur von Jerusalem übertroffen. Herodes, der Große geheißen, machte sie zu seiner Residenz. Ihr Glanz wurde damals selbst von Rom beneidet. Im letzten unglücklichen Befreiungsversuche der Juden gegen die Römer theilte Jericho das Schicksal der Hauptstadt. Titus erstürmte es, gab es seinen Legionen zur Plünderung und Verheerung, die Einwohner aber dem Schwerte preis. Was die Raubsucht verschonte, fraß das Feuer. Eine zwanzigtägige Brunst ließ von der herrlichen Stadt blos einen Schutthaufen zurück.
Hadrian, der Wiederaufrichter so vieler Städte seines Weltreichs, welche der Krieg verwüstet hatte, erhob auch Jericho aus der Asche; und in das neue zog neues Volk ein, aus fernen Landen zur Niederlassung hergesendet. In der Periode, welche die Geschichte als die von Rom’s Verfall bezeichnet, ging Jericho zum zweiten Male zu Grunde. Wüste lag es Jahrhunderte lang unter der arabischen Herrschaft, bis die Kreuzfahrer das Land eroberten. Nun erstand Jericho zum dritten Male. Kirchen und Klöster wurden erbaut, und der Ort zum Sitz eines christlichen Bischofs gemacht. Doch nur kurz war dieses dritte Erblühen. Mit dem Einsturze des Christenreichs im 12ten Jahrhundert fiel Jericho an die Türken, welche es eroberten. Sie mordeten die meisten Bewohner, zerstörten die heiligen Gebäude, und unter dem Drucke des Despotismus hat es sich nie wieder erholen können. Gegenwärtig macht es einen ärmlichen Flecken von 60 bis 70 Hütten. Araber bewohnen es, die, als raubgierig verrufen, der Schrecken der ganzen Gegend sind. Fünf Stunden im Umkreise aber geben unzählige Schutthügel und Mauerüberreste noch Zeugniß von der einstigen Größe der Stadt, an welcher Josua’s Fluch zur vollen Wahrheit geworden ist.
Das freundliche Städtchen Thun, vier Stunden südöstlich von Bern, am Ende des Sees, dem es den Namen gab, hat eine äußerst reizende Lage, welche die Bewunderung aller Reisenden ist. Es bildet den Mittelpunkt einer der reichsten und schönsten Schweizerlandschaften, über welche die Natur ihr Füllhorn ohne Maas ausgoß.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1837, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_4._Band_1837.djvu/69&oldid=- (Version vom 15.9.2024)