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Seite:Meyers Universum 5. Band 1838.djvu/197

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CCXXVIII. Die heilige Quelle des Ganges.




Ein Augur mag lachen, wenn er einen Augur sieht; aber die gläubige Menge muß die Orakelsprüche des Vogelflugs und der Eingeweide heiliger Opferthiere mit andächtigem Vertrauen empfangen.


„So ist’s, so wird es seyn, so ist’s von je gewesen:
In Rom, zu Schöppenstedt, im Lande der Chinesen.“

Das Volk fährt übel dabei; und doch ist’s ein mißlich Ding mit dem Reformiren. Wer alte Vorurtheile wegzuräumen, alten Mißbrauch abzustellen sucht, ist sicher, sich den Haß Derer zuzuziehen, welche von Vorurtheil und Mißbrauch Vortheil ziehen; aber sehr ungewiß, sich die Liebe Derer zu gewinnen, welchen er nützt. Die Menschen sind fast Alles, was sie sind, durch Gewohnheit. Die Macht derselben widersteht jeder andern, wird von keiner besiegt, bleibt aber gemeinlich Siegerin gegen alle. Vergeblich apellirt der Reformator an Vernunft, Religion, Moral und Gewissen. Er vergißt, daß Vernunft, Moral, Gewissen und Religion des Haufens selbst nichts anders sind, als – eine Gewohnheit! Ohne dieses Gängelband, an welchem man die Völker zu gehen gelehrt hat, stolpern sie anfänglich, straucheln sie, und thun sich wehe; kein Wunder, wenn sie dem Reformator thun, wie die Kinder der Mutter, welche nach derselben schlagen, wenn sie ihnen das Gängelband abnimmt.


Schon zwei Jahrhunderte hatten die Britten einen politischen und Handelsverkehr mit Indien unterhalten, und ihre Macht hatte sich allmählich bis zur unmittelbaren Herrschaft über 100 Millionen, ihr Einfluß auf die entferntesten Theile des ganzen Orients ausgedehnt. Die Ersetzung einer asiatischen durch eine europäische, einer mohamedanischen durch eine christliche Regierung hätte, in dem gewöhnlichen Gang der Dinge, den überwundenen Völkern schon längst die Vortheile einer höhern Cultur bringen müssen, wären nicht die Bemühungen der Eroberer, welche eine kleinliche Krämerpolitik inspirirte, zu jener Zeit geflissentlich darauf gerichtet gewesen, Alles im alten Zustande zu lassen und jeden Gedanken an eine Aenderung der bestehenden Ordnung auszuschließen. Zu diesem Endzwecke wurde der Verkehr zwischen Europäern und Eingebornen auf die möglichst engen Gränzen beschränkt.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/197&oldid=- (Version vom 6.9.2024)