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Seite:Meyers Universum 6. Band 1839.djvu/106

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Viel schöner, als die Schwester des Südens, welche auf niedrigen, sich kaum aus dem Wasserspiegel erhebenden Dünen von Pfahlwerk getragen wird, liegt Stockholm auf einer Menge großer und kleiner, an Höhe wechselnden Felseninseln des Mälarn, welche durch kühn von Ufer zu Ufer geschlagene Brücken und eine Unzahl von Booten und Gondeln, die zur Ueberfahrt stets bereit liegen, mit einander in Verbindung gesetzt sind. Der Unterschied des Terrains vergrößert das Romantische der Lage und bringt Abwechselung und Mannichfaltigkeit in die Ansichten. Bei einer Wanderung in den Straßen der Stadt muß man zuweilen steile Felsenhäupter erklimmen, zuweilen sperrt eine senkrechte Wand den Weg; bald steht man an einem seigern Abgrund, an welchem eine Treppe hinab in tiefer liegende Stadttheile führt, bald sind Füße und Augen auf einer hohen Terrasse festgehalten, von der man den überraschendsten Blick über die Stadt, über den Wald von Masten, über die reizenden Ufer des Sees, oder den unbegränzten in das Baltische Meer hat.

Die Altstadt, der Anfang und Mittelpunkt des heutigen Stockholm’s, nimmt ein fast eirundes Eiland ein, und der den Kernen der übrigen europäischen Großstädte eigenthümliche Typus wird hier nicht vermißt. Hohe Häuser und enge, krumme, immer feuchte und bei der größten Reinlichkeit doch nicht schmutzfrei zu haltende Straßen machen ein keineswegs angenehmes Bild. Aber überaus prachtvoll erhebt sich auf einem großen, freien Platze am See das königliche Schloß. Die übrigen Stadtviertel, Normalm, Sörmalm, Stoppsholmen, sind spätere Anlagen. Hier sieht man nur breite und schnurgrade Straßen, die sich in regelmäßigen Vierecken durchschneiden und Stockholm zu den schönstgebauten Hauptstädten gesellen. Der letztgenannte Stadttheil, ursprünglich ein schroff aus dem Meere steigender Felsgürtel, umfaßt einen Park, die königlichen Schiffwerfte, Magazine und einige Befestigungen. Gegenüber liegt Castellholmen, ebenfalls ein Fels, dessen Scheitel ein Fort einnimmt und von dessen Bastionen man weite und reizende Ausblicke hat. Ein drittes größeres Eiland ist mit öffentlichen Anlagen, Privatgärten, Kaffeehäusern und Villen übersät; es ist der Thiergarten, ehemaliges Jagdgehege der Schwedenkönige und der Hauptvergnügungsort der Stockholmer zur Sommerzeit. Auf etwas entfernteren Inseln und Uferpunkten des Mälarn liegen die Sommerwohnungen der höhern Gesellschaft und die Lustschlösser der königlichen Familie.

Haga ist der Sommerpallast des Kronprinzen. Der dazu gehörige sehr große Park umschließt kleine Seen mit Inseln, Felsenpartien mit Wasserfällen und andern anziehenden Naturscenen. – Das prächtige Carlsberg mit seiner 50 Fenster breiten Fronte ist jetzt Kadettenschule; von hier, dem Gestade des Mälarn entlang, führt eine der angenehmsten und besuchtesten Promenaden zur Hauptstadt. – Ulricksdal, ein anderes ehemaliges Lusthaus der Könige, ist gegenwärtig der Pallast der Invaliden. Nur die Ruhepalläste des brittischen Seemanns und Soldaten, Greenwich und Chelsea, können sich mit ihm messen; niemals erhielten Krieger für den Abend ihres Lebens eine schönere Wohnung. Das Schloß nimmt einen der erhabensten Punkte des Mälarn ein, ist mit Blumengärten,

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/106&oldid=- (Version vom 4.10.2024)