Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band | |
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In den Schweden lebt noch der Charakter der alten Germanen; Tugend und Redlichkeit uralter Zeiten, und auch das goldene Erbe unserer Urväter, Freiheitssinn, haben noch in Schweden eine Heimath. Seine Bewohner, germanischer Abkunft, vereinigen Offenheit, Biedersinn und Verstand mit der Würde und dem Ernste, welche den freien, unabhängigen Menschen charakterisiren. Die kräftigen Körper, der offene, sichere Blick unter der hohen Stirne, der feste Gang bezeichnen starke Seelen. Der schwedische Bauer ist Eigenthümer des Bodens, den er bebaut, und er hat ihn um so lieber, je mehr Anstrengung, je mehr Kampf mit einem undankbaren und rauhen Klima dessen Bearbeitung fordert. Zu anhaltender, harter Arbeit und zu einer ökonomischen Vertheilung seiner Zeit aufgefordert, gewöhnt er sich von früher Jugend daran, seiner Thätigkeit eine praktische und gemessene Richtung zu geben; und der karge Ertrag der Felder sammt dem langen Winter leiten ihn zur Erlernung einer Menge Geschicklichkeiten, durch deren Anwendung er hundert Bedürfnisse befriedigt, für welche der Landmann in südlichern Ländern fremder Hände bedarf. In jedem dalekarlischen Dorfe z. B. ist der Bauer zugleich Schuhmacher, Zimmermann, Grobschmied, Maurer, Schreiner, Schneider, Wagner und Sattler; seine Frau strickt, spinnt und webt; die Mädchen verfertigen allerhand Geräthe zum Putz und in’s Haus, und diese Industrie beschränkt sich nicht blos auf den eigenen Verbrauch, sondern, wo es die Verhältnisse der Familie und des Orts gestatten, sucht man auch aus dem Verkauf gefertigter Waaren noch Nutzen zu ziehen. So weiß die Thätigkeit dieses verständigen Volkes das Nachtheilige seiner nördlichen Lage und die Kargheit des Bodens auszugleichen! Wenn aber das, leider! nur zu häufige, gänzliche Mißrathen der Erndten die Masse der Bevölkerung zu den furchtbarsten Entbehrungen nöthigt, dann nimmt sie das Elend auf als eine Schickung Gottes, und mit standhafter Ergebung, aber entschlossen, kämpft ihm jeder Einzelne, so gut er kann, entgegen. In solchen Jahren sieht man diese abgehärteten Menschen Monate lang ihr Leben mit Brod fristen, aus Eicheln und Baumrinde bereitet.
Sanft, gastlich und friedlich kommt Schwedens herzliches Volk dem Fremden entgegen. In der geringsten Hütte weiß sich dieser nicht blos sicher, er darf auch auf uneigennützige Gastfreundschaft rechnen. Jene Verbrechen, welche Schrecken und Furcht erzeugen und in so manchen hochcivilisirten Staaten des Südens den Reisenden mit dem steten Gefühle der Unsicherheit quälen, sind in Schweden unbekannt. Von Straßenraub und Mord gibt es kaum ein Beispiel, und das Eigenthum des Fremden gilt als ein unantastbares Heiligthum. Dabei ist das Volk nicht roh, oder tölpisch, sondern eben so unterrichtet, als höflich. Die Bauerndirne in der Hütte, die du um einen Labetrunk ansprichst, reicht dir den Krug mit Anmuth, und der Betteljunge dankt für den empfangenen Pfennig gewiß freundlichen Blicks und mit höflichen Worten. Den Schul-Unterricht hat man in vielen Gemeinden frei; auch kann jeder Lehrer nach einer selbstgewählten Weise unterrichten. Die Lancaster’sche Methode, deren Ausbreitung der weise König mit Vorliebe begünstigt, hat hier Wunder gethan, und man wird in ganz Schweden
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/12&oldid=- (Version vom 10.11.2024)