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Seite:Meyers Universum 6. Band 1839.djvu/19

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seinen Füßen, und das unermeßliche Amphitheater von Schweizer- und Tyroler-Gebirgen steigt vor seinen Augen von dem Gestade allmählich zum Himmel empor. Im Vordergrunde überschaut er das fruchtbare Thurgau, die Sankt Gallischen, die Appenzellner Uferlande, mit ihren unzähligen Gebäuden, Landsitzen, Fabriken und Höfen, Dörfern und Städten. Die ganze Landschaft ist ein ununterbrochener Park; jeden Hügel ziert ein Kloster, oder ein Schloß; jeden Berg das verfallene Gemäuer einer Veste, oder Burg, oder einer Kapelle. Ueppige, lachende Fruchtbarkeit steht in grellem, aber angenehmem Contraste mit den düstern Felsenmauern und glänzenden Firnen, welche die Aussicht gegen Mittag begränzen. Nordöstlich hingegen strecken die gelben Kornfelder Schwabens sich aus, während die südlichen, wärmeren und baumreichen Ufer im Farbenschmelze aller Abstufungen des Grüns prangen und die Nähe Italiens verrathen.

Der reizendste Punkt des Constanzer See’s ist unstreitig Das, was er selbst mit Vorliebe in seinem Schooß gebettet, – die kleine Insel Meinau. Selbst neben den Eilanden im Lago Maggiore, oder im Orta, verliert sie nicht an Liebreiz, und die bezaubernd-schönen Inselchen anderer Schweizerseen, die Petersinsel im Bieler-, Aufnau im Züricher-, Schwanau im Lowizersee, halten mit Meinau den Vergleich nicht aus. Meinau liegt in einem Busen am nördlichen Ende des Bodensees, und seine Entfernung vom festen Lande beträgt nur wenige hundert Fuß. Da die Insel parkmäßig angepflanzt ist, so scheint ihr Umfang viel größer, als der wirkliche. Dieser mißt kaum eine halbe Stunde. Ihre Lage schützt sie vor der Kälte des Nords; offen hingegen ist sie den lauen Winden von Mittag, und diese, über die Fläche des See’s streichend, bringen Wärme und Erfrischung zugleich. Darum gedeihen hier auch eine Menge, zur südlichern Vegetation gehörende, Gewächse, die am nördlichen Seeufer nicht mehr fortkommen. – Ein schmaler Steg, der nach Meinau hinüber führt, ist der gewöhnliche Zugang; doch kommt man bei niedrigem Wasserstand ohne Gefahr auch mit Wagen durch den See, und wenn dieß nicht angeht, so ersetzt eine Fähre den Mangel einer breitern Brücke. Auf dem höchsten Punkte der Insel steht ein stolzer Pallast, früher die Wohnung eines Comthurs der Deutschritter; in neuester Zeit der mysteriöse Aufenthalt der Geliebten eines ungarischen Fürsten. Aus den Zimmern des Schlosses genießt man eine Reihe der schönsten Aussichten, die schon von jeher die Reisenden entzückten. Von zwei Seiten schweift der Blick fast schrankenlos über die südwärts sich über 15 deutsche Meilen ausdehnende Wasserebene, über die Hügelterrassen des Küstenlandes, bis er sich in der hohen Gebirgswelt verliert, welche der Aussicht zum Hintergrunde dient. Erhaben über alle Beschreibung ist der Anblick des See’s bei untergehender Sonne: die spielenden Wellen funkeln dann wie glühend Erz, die Ufer scheinen mit einem dunkelfarbigen Schleier umhangen, die Berge schimmern fast durchsichtig im stahlblauen Glanze und goldene und rosenfarbene Wolken drappiren das weite Gewölbe des Himmels. Doch nicht auf Meinau allein, überall hat ja die Natur solche Feststunden, wo sie ihr Feierkleid anthut, und es liegt ja blos an der Indolenz und Trägheit des Menschen, wenn er letzteres nicht sieht und jene nicht mitfeiern mag. So wandern Tausende alle Jahre auf den Rigi, oder

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/19&oldid=- (Version vom 27.9.2024)