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Seite:Meyers Universum 6. Band 1839.djvu/230

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zu werden. Diese bedeutenden Arbeiten hatten die letzten Mittel erschöpft und die Reformation leitete den weitern Zufluß ab. Seitdem ruhete der Fortbau am noch nicht zur Hälfte vollendeten Dome ganz. Fünf Jahrhunderte lang nagte die Verwitterung an den unzähligen Knäufen, Thürmchen, Geländern, Kreuzen, Steinbildern, Blenden und Gehäusen, und das Wunderwerk war in Gefahr, zur Ruine zu werden, hätte nicht der jetzige König von Preußen freigebig für eine umfassende Restauration gesorgt, deren Fortsetzung auch in Zukunft mit eignen Fonds gesichert ist. Die Vollendung freilich, nach dem ursprünglichen Plane, – wollte man auch voraussetzen, daß eine hinlängliche Masse von Kunstgeschick nicht fehle, – wird wohl ewig ein frommer Wunsch bleiben; denn 20 Millionen Thaler würden dazu nicht ausreichen und wenigstens ein halbes Jahrhundert dazu gehören. –

Eine spätere Platte des Universums wird Gelegenheit geben, das Innere des Doms zu betrachten und ich versage mir heute dessen weitere Beschreibung; wer aber folgen mag, steige jetzt mit mir hinauf, – hinauf, das Herz zu lüften auf seiner majestätischen Zinne! – Da stehen wir, tief unter uns Gottes Erde und über uns das blauwogende Meer des Alls, Gottes Himmel! – Da oben Zukunft, dort unten Vergangenheit und Gegenwart. In der Höhe die unsterblichen Engel; unten die sterblichen Menschen, unsere Brüder. Ach! wie sie dort neben des Doms Riesenhüften wie Ameisen wandeln und durch das Leben kriechen! Winzig klein erscheinen ihre Hütten; aber wie groß ist die Sorge darinnen! Des Lebens Sturm umtobt sie; Ruhe, Liebe und Zufriedenheit und Freude aber sind seltene Gäste. – Brüder! Mit dem letzten Strahl des scheidenden Jahres seyd mir alle gegrüßt! Schwestern! seyd mir alle gegrüßt! Reiche und Arme, Weise und Thoren, Nahe und Ferne, Freunde und Feinde seyd mir alle gegrüßt! Daß ich Schultern hätte wie der himmeltragende Atlas, und ich eure Sorgen, Kämpfe, Plagen und Kummer legen könnte zu der eigenen Last! Thörichter Wunsch des schwachen Menschen! Aber beten darf ich zum nahen Himmel:


Stärk den Müden, der des Lebens Plagen,
     Seine Lasten duldet; friedsam! still!
Doch laß Donner den Tyrannen schlagen,
     Der des Schweißes Frucht ihm rauben will.

Gib dem Mangel Speis’, und Trank und Hülle!
     Gib dem Reichen, – Gott! gib ihm ein Herz!
Dann gibt Armen gern er von der Fülle,
     Lindert gern des wunden Bruders Schmerz.

Werden Alle wir von Dir gerufen,
     Wölb’ uns sanft den Hügel über’s Grab;
Und dereinst, an deines Thrones Stufen,
     Richt’ uns mild; – nur Schurken brich den Stab!

Mit diesen Gesinnungen scheide ich vom Jahre, schließe ich diesen Band meines Buches und trete hinaus in den weiten Kreis meiner Leser, unter denen Mancher ist, dem ich im Geiste zum letztenmale die Hand drücke. Es ist ein ernster Gedanke, wenn man so voranschreitet mit den Jahren, einer der alten Freunde und Bekannten nach dem andern heimgeht, – und der lieben, trauten Gefährten und Herzen immer weniger werden, wenn gleich der Kreis der Theilnehmer sich vergrößert. Darum auch möcht’ ich, daß die alten Freunde und alten Leser blieben, und treu blieben bis an des Werkes Ende. –

M.     



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/230&oldid=- (Version vom 8.10.2024)