Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 7. Band 1840.djvu/101

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

gerühmt, und selbst bei weit vorgeschrittenen Leiden, wo eigentliche Heilung nicht mehr erwartet werden kann, gewährt es in der Regel fühlbare Linderung und dient zur längern Lebensfristung. Bei Skrofeln oder Krankheiten der Harnwerkzeuge leistet es ausgezeichnete Dienste.

Von viel durchgreifenderer Wirkung ist der Ragotzi oder Kurbrunnen, Kissingens Stolz und die Quelle seines Wohlstandes. Im Allgemeinen findet die Anwendung dieses berühmten Wassers immer nur bei chronischen Uebeln und Gebrechen statt, besonders bei denen der Unterleibsorgane mit ihren furchtbaren Verzweigungen, gegen welche es sich als eines der mächtigsten aller bekannten Heilmittel erweist. – Beide vorerwähnten Quellen werden als Trinkwasser benutzt, und der Ragotzi namentlich als solches durch die ganze Welt verfahren. Dagegen braucht man die dritte Quelle, den Pandur, fast nur als Bad. Er ist, wie der Ragotzi, schön gefaßt und mit steinernen Ballustraden umgeben, von welchen vier Treppen zu den Quellen hinableiten.

Die Krankheitsformen, in welchen sich der Pandur besonders heilsam zeigt, sind Gicht und eingewurzelte rheumatische Uebel. Man badet entweder im Kurhause, oder in den Privathäusern, die sämmtlich bequem dazu ein gerichtet sind. In’s Kurhaus fließt das Mineralwasser unmittelbar von der Quelle in verdeckten Röhren; in die Privatwohnungen wird es in Bütten oder Tonnen gefahren, oder getragen. Für Kranke, welchen das Bad aus reinem Pandur zu angreifend ist, kann es mit den gelinder wirkenden Brunnen versetzt werden. Man badet warm, gewöhnlich in den Frühstunden; das Trinken geschieht am sehr frühen Morgen, und schon um 4 Uhr sieht man Gäste an den Quellen. Für alle andern Gattungen von Bädern, als Douche- und Schwefeldampfbäder etc. etc., sind die nöthigen Einrichtungen vorhanden. Während des Trinkens und nach demselben sind Bewegungen im Freien sehr zuträglich. Von der Kur unzertrennlich ist eine passende Diät. Sehr fette, saure, reizende und blähende Speisen, z. B. Käse, fettes Backwerk, Hülsenfrüchte, fettes, geräuchertes Fleisch, Oel, saure Salate und frisches Obst dürfen nicht genossen werden. Am zuträglichsten sind gute, kräftige, aber magere Boullion-Suppen, die zärtern Gemüßsorten, magere Braten, Wildpret, Geflügel und Fische, mit Ausnahme der fettern Gattungen. Des Abends essen die Kurgaste wenig und nur leicht verdauliche Speisen. Das Badeleben in Kissingen, obschon es früher, bei geringerer Frequenz des Kurorts, billiger war, ist doch, im Vergleich gegen andere Heilquellen vom ersten Range, auch jetzt noch nicht theuer zu nennen. Mit den Mitteln zu Vergnügen und zur Unterhaltung, wie man sie in einem großen Bade erwartet, ist Kissingen hinlänglich ausgestattet und sie werden von Jahr zu Jahr vermehrt. Spaziergänger und Solche, die weitere Ausflüge lieben, finden in den parkähnlich ausgelegten Waldgehägen und Thalgründen reichlichen Genuß. Lieblingspunkte sind: der Hirschheim’sche Garten, die Oelmühle und das in einer Waldecke der östlichen Berge ganz versteckte Jägerhaus bei Winkels. Manchmal vereinigt sich die ganze Kurgesellschaft zu einem Ausfluge nach diesem stillen, schattigen Plätzchen. Man lagert sich dort in kleineren oder größeren Kreisen unter den Bäumen und labt

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/101&oldid=- (Version vom 27.10.2024)