Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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umgeben, unregelmäßig gebaut, und nimmt sich mit ihren alterthümlichen Gebäuden eben nicht schön aus. Vor jedem der drei Thore ist eine Vorstadt, und zumal ist die von Flohe her, welche ich zuerst betrat, groß und von seltsamem Ansehen. Sie besteht aus einer einzigen, ½ Viertelstunde langen, sehr breiten, in der Mitte von dem spiegelhellen, rauschenden Fluß durchströmten Straße, die zu beiden Seiten mit gleichförmig gebauten, hohen, hölzernen Häusern eingefaßt ist, und von denen jedes in seinem Erdgeschosse eine Schmiede hat, die sich durch einen kleinen, gewöhnlich neben oder über der Thüre horizontal ausgehenden Rauchfang kenntlich macht. Schon von weitem hört man ein unaufhörliches Pochen und Hämmern, und in der Straße selbst wird es betäubend. Fast alle Menschen, denen man begegnet, sind von Kohlen und Ruß geschwärzt; denn fast die ganze Bevölkerung nimmt unmittelbar Theil am Hauptgewerbe. Kommt man aber an Sonn- und Festtagen her, so wird man keine Spur von Schmutz finden; kein Hammer regt sich, auf den frisch getünchten Bänken sitzen die reinlich gekleideten Aeltern, umschwärmt von einem Haufen eben so reinlich angezogener, bausbäckiger Kinder, und in den Häusern selbst ist Alles, vom Boden bis zur Schwelle herab, blank gescheuert; der Kohlenstaub ist verschwunden, der die Woche über alles bedeckt hat. Der Reinlichkeitssinn der Schmalkaldner geht so weit, daß Viele jeden Sonnabend Nachmittag den untern Theil ihrer Häuser mit Kalk frisch anstreichen. Leider ist seit einer Reihe von Jahren durch die Zeitverhältnisse und durch den Mangel an Fortschritt in der Vervollkommnung ihrer Fabrikate, dem Gewerbe der Stadt großer Eintrag geschehen, und Verarmung und Nahrungslosigkeit nehmen in einem furchtbaren Grade zu. Unglaublich ist’s, für welchen geringen Lohn die meisten Eisenarbeiten hier gefertigt werden, ein Lohn, der bei dem äußersten Fleiße kaum hinreicht, das Leben zu fristen.
Die hiesigen Eisenfabrikate begreifen fast alle Gegenstände des täglichen Bedürfnisses, und die meisten werden von eigenen Meistern gefertigt. Vor wenigen Jahren zählte man hier über 100 Ahlen- und Zweckenschmiede, 60 Bohr- und Zeugschmiede, 40 Messer- und 30 Kettenschmiede, 10 Lichtscheermacher, über 100 Huf- und Nagelschmiede u. s. w. Ein weiterer, sehr nachtheiliger und beunruhigender Umstand für die hiesigen Gewerbe ist, daß die Waldungen der Gegend den unermeßlichen Bedarf an Kohlen schon lange nicht mehr zu liefern im Stande sind, und dieses unentbehrliche Material größtentheils aus dem Auslande, bis auf 20 Stunden Entfernung, mit schweren Kosten und zu alljährlich immer höher steigenden Preisen beigefahren werden muß. Die Auffindung bauwürdiger Steinkohlenlager würde eine große Wohlthat, nicht nur für die Stadt, sondern für die ganze Herrschaft und auch das benachbarte, gleichartige Gewerbe treibende Meininger Gebiet seyn, und eine fleißige Bevölkerung von mindestens 20,000 Seelen nicht blos vor allmählicher gänzlicher Verarmung und Nahrungslosigkeit schützen, sondern auch die Begründung allgemeinen Wohlstandes möglich machen durch eine bessere und schwunghaftere Benutzung der Schätze von den trefflichsten Eisen- und von Kupfererzen, womit diese Gegend des Thüringer Gebirgs mehr als irgend eine
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/125&oldid=- (Version vom 3.11.2024)