Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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entfernen; oder sie lassen sich, wenn sie es vermögen, in Sänften tragen. Ihre Physiognomien sind angenehm; obschon nie frei vom Ausdruck der Schwäche und Hülflosigkeit.
Auf dem ganzen Wege bis in die Nähe von Peking (von Chalgan sind es 2 Tagereisen), bleibt sich die eben beschriebene Scene gleich. Man kann sich nicht satt sehen an der herrlichen Cultur des Landes und die Lebendigkeit des innern Verkehrs nicht genug bewundern, dessen Anzeichen auf jedem Schritte begegnen. Karavanen wandern von und nach der Hauptstadt in langen Zügen, und auf den Kanälen und Strömen, welche das Land durchschneiden, sieht man schwerbeladene Barken häufiger selbst als in dem verkehrreichen Holland und in England. Ueberall herrscht Ordnung; freilich nur jene Ordnung, welche wir an einer Maschine bewundern, wo hundert Räder immer auf dem nämlichen Punkte sich umdrehen, bewußtlos arbeitend für den gemeinschaftlichen Zweck. Wem eine solche Ordnung, welche die Menschen zu Automaten macht, und das Culturfortschreiten des Geschlechts zu vernichten strebt, gefällt, Dem muß China ein Paradies seyn.
In der Nähe der Metropole ändert sich die Scene auf eine befremdende Art. Gegen Erwartung scheint die Cultur des Landes abzunehmen. Die Bevölkerung selbst erscheint dünner, und die Umgebungen der Residenz des Himmelssohns sind nichts weniger als heiter und schön. Ein sonderbarer Geschmack hat unmittelbar vor den Thoren, statt einen anmuthigen Park, eine kleine Wüste geschaffen, die ein Drittel der Stadtmauer umgibt, und die wilde Natur der mongolischen Steppe täuschend nachahmt. Von dieser Seite betrachtet, macht das unermeßliche Peking einen wunderbaren, unheimlichen Eindruck. Da es in einer vollkommenen Ebene liegt, so sieht man nichts, als die, mit Bastionen und Thoren versehene, hohe Mauer, hinter der sich die Häusermasse gänzlich verbirgt. Blos die Spitzen der wunderlich gestalteten vielen Thürme gucken aus einer dicken Dunstwolke hervor, die dem Gewühle der Menschen entquillt und das ganze Jahr über Peking lagert. Der Umfang der äußern Stadtmauer ist 12 Stunden, ihre Höhe ist 16 bis 18 Ellen bei verhältnismäßiger Dicke, und ein trockner, nicht tiefer Graben, der sie rundum umgibt, gewährt ihr keinen Schutz. Sie dient blos polizeilichen Zwecken und hat als Befestigung keinen Werth.
In dem Mauerkranze der Stadt sind viele häuserleere Stellen eingeschlossen, Gärten und sogar Felder, so daß man bei Betrachtung der niedrigen, einstöckigen Häuser sogleich begreift, daß Peking eine so unmäßige Bevölkerung, wie alte Schriftsteller angeben (4 bis 5 Millionen), niemals fassen konnte. Fast die Hälfte des nördlichen Stadttheils (die sog. Tartarenstadt) ist von den Palästen und Lustgärten des Kaisers eingenommen und der übrige Theil mit Regierungsgebäuden, Kasernen und Tempeln angefüllt, die alle große, offene Höfe haben. Auch die südliche Stadthälfte (die Chinesenstadt) wird zum dritten Theil von den unermeßlich weitläufigen Gebäuden und Gärten bedeckt, wo der Kaiser dem Himmel opfert und die jährliche Ceremonie des Pflügens u. s. w. vornimmt; die Küchengärten und Fischteiche für die Hofhaltung nehmen allein eine Quadratstunde Raum ein. Zieht man alles dies in Berechnung, so kann die Einwohnerzahl Pekings 1¼ Million nicht übersteigen.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/140&oldid=- (Version vom 6.11.2024)