Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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Wie in der Faustrechts-Zeit der starke Mensch sich gegen den Schwachen erhob, um ihm die Frucht seiner Arbeit zu rauben, so handelte einst Rom’s starkes Volk gegen die andern. „Warum sollen wir uns anstrengen, um Genüsse hervorzubringen, die in den Händen der Schwachen sind? Laßt uns zusammentreten und sie plündern; sie können für uns arbeiten und wir ohne Mühe genießen.“ So sagten die Gründer der ewigen Roma unter sich, und so thaten sie, und wurden der Adel des Menschengeschlechts. Sie fielen Völker und Staaten und Reiche an fort und fort, und wo sie sich das Unterjochungswerk erleichtern wollten, hetzten sie Stamm gegen Stamm und Volk gegen Volk, sich zu würgen wechselsweise, damit sie ihre Güter erlangen möchten ohne Mühe. So wurde in der Zeiten Lauf die Erde ein blutiger Schauplatz voller Zwietracht und Plünderung, und das allmächtige Rom vom Raube der halben Erde reich.
Aber in Rom’s Volk lebte zugleich neben der Raubsucht ein großer Sinn. Andere Eroberungsvölker vor ihm, Assyrer, Babylonier, Perser, gaben sich im Besitze der Kräfte und Reichthümer ihrer Ueberwundenen der Verweichlichung hin, und in der Langenweile der Uebersättigung vergeudeten sie die Schätze mit läppischem Kindertand, oder zur Befriedigung der Phantasien von verbranntem Königsgehirn. Schwebende Gärten bauten sie wohl, leiteten Flüsse Berge hinan, schufen fruchtbare Fluren in Einöden um für wilde Thiere, machten üppige Thäler zu stinkenden Seen, thürmten Felsen in den Strömen auf, und entzogen nützlicher Arbeit Arme zu Hunderttausenden, um die unnützesten, lächerlichsten Werke zu verrichten. Sie machten so aus ihrem Joch ein Verderb für die Völker und ohne Ersatz. Darum war gar schnell gebrochen das Joch, wenn sich Gelegenheit gab; denn wenn Laster die Herrschenden entnervt, und die Nationen in ihren Herren nur noch Feinde sehen des allgemeinen Wohls, dann geschehen Revolutionen geschwind und leicht.
Nicht so Rom. Als es reich geworden war vom Raub der Welt, gab es groß und klug der Welt den Raub mit Zins zurück, indem es seinen Ueberfluß auf Arbeiten von gemeinem und öffentlichem Nutzen verwendete; nicht in einer Stadt, nicht in einer Provinz allein, sondern im ganzen Reich, vom Don bis zum schottischen Wall und vom Atlas bis zum Caukasus. Am thätigsten war dieser Geist unter der Herrschaft des August. Das war die Zeit, wo die meisten jener Werke entstanden, deren Trümmer das alte Römerreich bedecken und die erkennen lassen würden die ehemalige Größe Roms, wäre auch kein anderes Zeugniß übrig. Werke entstanden damals, über deren Idee und Pracht der Geist gleich erstaunt; jene Wasserleitungen durch den Bauch der Berge und über
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/171&oldid=- (Version vom 13.11.2024)