Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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Die Physiognomie der innern Stadt straft den Begriff nicht Lügen, den die äußern Umgebungen hervorrufen. Selbst im allerältesten Kern, zwischen dem Dom und dem Römerberg, mit seinen engen, winklichen, düstern, doch reinlichen Gassen, deren alterthümliche Häuser ihre weit überhängenden, mit Wetterfahnen und Thurmspitzen gezierten Giebel der Straße zukehren, wird man die Zeichen der Gemächlichkeit und des Wohlstandes ihrer Bewohner nicht vermissen. Die Stadttheile zwischen dem Mainzer- und Fahrthor und der Zeil sind neuer; auch da sind viele Straßen eng; aber aus den hohen, meistens massiven Häusern, in deren untern Räumen sich Waarengewölbe und Contore, die Fenster mit eleganten Eisengittern verwahrt, befinden, blickt schon der Reichthum heraus. Die schönsten Parthieen im Innern der Stadt sind die 80 Schritt breite Zeil, die von der Konstabler- bis zur Hauptwache reicht, mit vielen Hotels (rothem Haus, russischem Hof, römischem Kaiser etc.) und der Roßmarkt. Herrlichere Straßen als die neuen Wallstraßen hat keine Stadt Deutschlands aufzuweisen. Palast an Palast steht dort, und man wird nicht müde, die Tüchtigkeit und Eleganz dieser neuen Prachtgebäude zu bewundern.
An ältern Bauwerken, welche welt- und kunstgeschichtliches Interesse haben, muß eine Stadt reich seyn, welche seit länger als tausend Jahren blüht und in der Geschichte des deutschen Reichs einen Ehrenplatz einnimmt, der zugleich ein Schauplatz der folgenreichsten Begebenheiten und Handlungen war. Der „Römer,“ wo die deutschen Kaiser gewählt, der Dom, wo sie gesalbt und gekrönt wurden, sind jedem deutschen Herzen liebe, vertraute Namen und heilige Orte. In jenem uralten Palaste Karls des Großen (der 1480 durch Einbau der benachbarten Wohnungen seine gegenwärtige Gestalt bekam) führt eine breite Stein-Treppe den vom Römerberge her Eintretenden hinauf in das im Schmuck einer längst geschwundenen Zeit prangende Wahlzimmer, wo von den Kurfürsten des Reichs, zur Wahl versammelt, der feierliche Akt vollzogen wurde, durch den ein freies, deutsches Volk seinen Kaiser erhielt. Neben dem Wahlzimmer ist der Kaisersaal, wo der Neugekrönte, nach dem Zuge aus dem Dome, bei offenen Thüren an der Tafel speiste, die ihm deutsches Volk gedeckt hatte, und bedient von dessen Repräsentanten, den mächtigsten Fürsten des Kaiserthums. Der Hauptschmuck des Saals sind die Brustbilder aller in Frankfurt gekrönten Kaiser von Konrad I. an (912) bis auf Franz II., dessen Bild, ein bedeutsames Spiel des Zufalls, den letzten Wand-Raum, welchen seine Vorgänger übrig gelassen, gerade ausfüllt. Im Römer hält der Senat seine Sitzungen und da sind auch die Geschäftslokale der obersten Behörden der kleinen Republik. – Der Dom, vorhanden schon zu Pipin’s Zeit, von Ludwig dem Deutschen zum Stift erhoben, erhielt im 14. und 15. Jahrhundert seine jetzige Gestalt. Leider ist sie in der Nähe kaum zu erkennen; denn an dem noblen Bau hat die Habsucht und der Unverstand schlechte Häuserchen und elende Buden gekleckst, nichts frei lassend, als die Eingänge. Blos der Anblick aus der Ferne gibt einen Begriff von der Masse dieses Tempels, dessen stumpfer Coloß hoch über alle anderen Thürme der Stadt emporragt und ihr ein Ansehn von ehrfurchtgebietender Würde gibt. – Wohl hat auch am Domthurm der Zahn der
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/205&oldid=- (Version vom 22.11.2024)