Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
|
Zauber in einer andern Welt. Sanftbemattete Höhen, mit Fluren und Häusern geschmückt, grüßen freundlich von oben herab, als wollten sie ihn für die gehabten Schrecken entschädigen und wieder aussöhnen. Es ist der Zug des Thonschiefergebirgs zwischen der Kalkumwallung und der Centralfeste der Alpen. Vorwärts, in dem fernern Hintergrunde, zeigt sich die letztere und freundlicher, als man erwartet, nämlich als ein grün bemoostes Felsgebirge, während das Uebergangs-Gebirge selbst im reichsten Sammet der Matten prangt, hie und da durch die scharfen Schiefergräten durchlöchert und durchschnitten. – Fortwährend begleitet der Bergstrom den Weg, und sein allmählich immer milder werdendes Rauschen verkündigt die Annäherung an die festern Massen des Grundgebirgs schon lange zuvor, ehe der Fuß sie betritt. Sein wirbelndes Schäumen sagt endlich deutlich, daß er den Schiefer ganz verließ und sich auf hartem Urfels bettete. – In dieser Gegend hört man zuerst den Wasserfall der Ache; er dringt zum Ohr wie fernes Donnern. Dadurch abgezogen von dem bisher bewunderten Schauspiel, beflügelt sich des Wanderers Schritt auf dem kühn aus dem Gestein gesprengten Pfade, den hohe, bewaldete Bergwände umgeben und aus derem Grün morsche, einsturzdrohende Felsen hervorragen. Immer wilder wird die Gegend, immer lauter das Getöse, das die Erde beben macht; immer gespannter die Erwartung. Da endlich, wie er um eine Felsecke biegt, bringt ihn der nächste Schritt auf eine Brücke, und, betroffen von dem, was er sieht, bleibt er stehen. Gleich einem wilden, reißenden Thiere, das seinem Kerker entstürzt und sich auf seine Beute mit wildem Grimme wirft, tobt aus dem Bergriß in der Höhe die Gasteiner Ache hervor, zuerst mit einem gewaltigen Satz wider eine gegenüberstehende Bergwand, die ihre beste Kraft in Staubwolken zerbricht, und dann hinab in den tiefen Bergkessel, in das Grab, das sie sich selbst gehöhlt hat. Langsam, wie verwandelt, fließen von da die wieder gesammelten Fluthen über ein Wehr und unter der Brücke hin, wo die Salzach sie aufnimmt und ihr Name verschwindet. – Neben der weißen Wassersäule stellte der fromme Sinn Heiligenbilder auf die hohen Felsen, und am Fuße dampfen die Schlöte eines großen Hüttenwerks, dessen rußige Gebäude auf den schönsten, immergrünen Matten stehen. Hier ist die Grenze von Pluto’s Reich; denn von da an sind die Bäuche der Berge belebt und in ihren Eingeweiden wühlt der fleißige Bergmann nach Silber und Gold schon seit Jahrtausenden. Gleich hinter dem Hüttenwerke geht die Gasteiner Chaussee abermals durch eine schauerliche Gebirgsspalte, die Thalenge Klamm, die Propyläen der Inneralpen, das gewaltige Thor, das uns auf eine würdige Weise einführen soll in die Urgebirgswelt. Kühn durchschneidet die Straße bald steil abstürzende Felswände, bald sanft sich neigende Matten, bald finstre Waldung; hier ruht sie auf dem festen Gerüste der Natur; dort läuft sie über von Fels zu Fels gespannten Bögen hin. Dicht an der Barriere stacheln dann und wann die Spitzen schlanker Tannen und schwankender Birken herauf, und lassen die Höhe errathen, in welcher die Straße sich an der Felswand fortwindet. Endlich scheint das Tageslicht ganz zu verschwinden, mit ihm flieht die Vegetation und kahl starren die grauen Urkalkwände zum
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/219&oldid=- (Version vom 17.11.2024)