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Seite:Meyers Universum 7. Band 1840.djvu/227

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den beiden Seiten aufgestülpten Hut umherwerfend. Er trägt einen langen, weiten, seidenen Rock, zusammengehalten mit einem gewaltigen Strick, der ihm in Form einer Quaste den Rücken hinabfällt; dazu schwere, plumpe Schuhe mit ungeheueren silbernen Schnallen. Hart hinter ihm her trippelt der junge brasilianische Dandy. Er zählt noch nicht 14 Jahre; aber er ist gekleidet wie der Pariser Stutzer von fünf und zwanzig. Ehrfurchtsvoll folgen ihm in abgemessener Ferne 2 Diener, bedeckt mit Goldbrokat. Dann kommen schwarze Wasserträger, nackte, widerwärtige Gestalten; und die nächste Figur ist jene hagere Gestalt mit dem langen, scharf ausgeschnittenen Gesicht und der Weltherrenmiene, der man überall auf Erden begegnet. Am Arm des Britten geht ein stattlicher, wohl aussehender Mann, in dessen rundem Gesichte der Bonvivant ausgeprägt ist, dem der liebe Gott die Welt nur um des Genusses willen geschaffen hat. Er trägt einen aufgestülpten Hut mit Straußfedern, einen breitgeschnittenen Frack, eine Weste mit geräumigen Taschen, zierlich ausgenähete Beinkleider, die, wie das Uebrige, schwarz und am Knie über ein paar rothseidenen, gewirkten Strümpfen zugeschnallt sind. Ein paar lackirte Schuhe mit großen Schnallen, auf welchen farbige Steine funkeln, Manschetten von Spitzen, schwarzseidene Handschuhe und ein Rohr mit schwerem, goldnem Knopfe vollenden den Anzug. Don Gonzalo, Mitglied des Congresses, geht eben zur Sitzung. –

Nächst der Rua direita sind die Rua D’Ouvidor und D’Ourives (wo die Goldschmiede und Juweliers ihre Magazine haben), die besuchtesten und schönsten. – Die Bauart in Rio ist im Allgemeinen tüchtig. Die Häuser sind massiv, zwei Stockwerke hoch, rauh beworfen und weiß getüncht. – Bei der Milde des Klima’s (denn Rio liegt unter’m tropischen Erdgürtel!) kennt man das Bedürfniß künstlicher Erwärmungsmittel nicht, also auch keine Kamine. Die Dächer sind platt, wie in Italien. Die Fenster des zweiten Stocks nehmen die ganze Zimmerhöhe ein und öffnen sich auf eisernen Veranda’s, wo der Hausherr, beschattet und angefächelt von der Zugluft, den ganzen Nachmittag mit der Cigarre im Munde des Müssiggangs pflegt. Decken und Wände sind meistens getäfelt. – Architektonische Werke von großer Schönheit besitzt Rio nicht. Die Paläste sind plump und geschmacklos; deren Erbauung fällt meistens in die Zopfzeit des vorigen Jahrhunderts. Theater, Opernhaus, die großen Hotels sind mehr geräumig, als schön. Kirchen gibt es einige 40 in Rio; voller Ungeschmack von außen und innen, voller Vergoldung, Schnitzerei und Schnörkelei ohne Kunstwerth. Viele aber besitzen einen großen Schatz an Juwelen, silbernen Gefäßen und Statuen von Heiligen. Die Hauptkirche, San Francisco de Paulo, ist ein ungeheueres Gebäude, ganz überladen mit schlechten Verzierungen. Doch schön sind die Glasmalereien der Fenster, obschon sie nicht der höchsten Blüthezeit der Kunst angehören. In dieser Kirche werden unaufhörlich Todten-Messen gelesen, bei welcher Gelegenheit die Frommen auf Teppichen und Matten knieen, schweigend Perle um Perle an ihrem Rosenkranz um die Ruhe der Abgeschiedenen abzählend. Zu den Katakomben unter der Kirche führt eine Treppe von 60 Stufen. In diesem schauerlichen Tempel des Todes, den das Licht der an den Gräbern gestifteten ewigen Lampen erleuchtet, sieht

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/227&oldid=- (Version vom 18.11.2024)