Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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Mailand war von jeher die Wiege großer Männer, und den ihm schon in der Cäsarzeit beigelegten Namen „Neu-Athen“ führt es mit einigem Rechte. Virgil studirte, Valerius Maximus, Statius, Virg. Rufus, Lanfranco, Alciat, Cardone, P. Lechi, P. Porta, Beccaria, Frisi, Varrini u. v. a. Koryphäen der Wissenschaft lehrten dort, oder wurden dort geboren; Helden auch und viele Fürsten der Kirche gingen hervor aus der Mitte seiner Bürger.
Das Klima Mailand’s ist im Ganzen sehr gesund, die Luft, obschon etwas feucht, doch fast immer heiter; Wiesen und Gründe prangen das ganze Jahr im frischen Grün des Frühlings. Leicht trägt die Zeit den Bevorzugten, welcher, den äußeren Sorgen entrückt, hier frei seinen Aufenthalt wählen kann, auf ihren Schwingen, und wenn ihm der Lebenstraum hier nicht zu einer Wirklichkeit voller Genuß wird, so ist’s nur seine eigene Schuld.
Ehedem gab es zwei Classen von Menschen, welche das Privilegium langer Festtage genossen: die Großen nebst den sehr Reichen, und die ganz Armen. Jene ließen andere für sich arbeiten, faullenzten und commandirten; diese überließen auch andern die Anstrengung, faullenzten und bettelten. Die freie Kunst der Bettelei hat ihre Freiheit verloren; sie führt ihre Adepten in’s Zuchthaus; Reichthum, Geburtsrang, hohe Würde und hohes Amt aber, – wenn wir die Glücklichen im Himmel der Höfe ausnehmen, – haben auch nachgerade aufgehört, Sinecuren zu seyn. Der Bauer allein blieb unter der zersetzenden und verändernden Sonne der Zeit der alte; er schwitzt noch wie sonst hinter’m Pfluge, baut noch das Brod, das Andere essen, und der Ruhetage sind ihnen nicht mehr, der Frohntage nicht weniger geworden. Gewonnen aber hat der Tiersetat, der Stand der wohlhabenden Bürgerklasse und die Mittelschichten der Beamtenwelt, welche einen weit größeren Antheil an Lebensgenuß erhalten haben und deren Festtage sich mehren, deren Canikularien wachsen mit jedem Jahrzehend. Wer dieß bezweifeln will, der blicke nur hin auf die jährlich wachsenden Pilgerschaaren, welche den berühmtern Gegenden unsers Vaterlandes zuwandern, und auf Bergen und in Thälern das Vergnügen suchen so emsig, wie der Jäger das Wild; oder er sehe die Hunderttausende auf der Rhein- und Donaufahrt, das Gewimmel auf den Eisenbahnen und die Myriaden in den Bädern, wo die größere Zahl der Kurgäste nichts will und nichts sucht, als Freude und Genuß in pikanteren Formen.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/236&oldid=- (Version vom 21.11.2024)