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Seite:Meyers Universum 7. Band 1840.djvu/37

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ernst und schwerfällig hin und her, emsig und eifrig auf alles Acht habend, was in dem ihrer Aufsicht anvertrauten Bezirk irgend vorgeht.

Je näher Canton, je dichter wird das Gewühl und Gedränge auf dem sich verengenden Strome und man landet am prachtvollen Quai der europäischen Faktoreien zu seiner nicht geringen Verwunderung, ohne von der eigentlichen Stadt im günstigsten Falle mehr gesehen zu haben, als die über einer Dunstwolke ragende Spitze einer Pagode. Mit dem ersten Tritte, den der Fremdling auf chinesischem Boden thut, sieht er sich sogleich von einer Menge Chinesen umringt, welche sich beeilen ihm ihre Dienste anzubieten: er steht in der Mitte eines Schwarms von Schneidern, Schustern, Aufwärtern, Krämern und Fabrikanten, die, wie in Europa, ihm mit höflicher Gebärde eine schön gestochene kleine Karte in die Hand drücken, auf welcher in englischer Sprache Name, Wohnung und Geschäft des Selbstempfohlenen verzeichnet steht. Mancher setzt wohl auch eine Einladung zu einem Souper hinzu mit dem Ausdruck theilnehmender Herzlichkeit, als gälte es dem Wiedersehen eines alten Freundes. Der Neuankömmling thut wohl, sich mit keinem dieser Leute einzulassen, sondern sich geradezu an den Comprador (Mayor-Domo) der Faktorei seiner Nation zu wenden, der ihn mit einem zuverlässigen homme d’affaires versorgt, einem Chinesen, welcher geläufig englisch spricht, über Alles Auskunft geben kann, Alles schnell und pünktlich besorgt, der, fährt man aus, oder stattet man Besuche ab, als Livreebedienter folgt und Einem in Allem, bei der Toilette wie bei Tafel, mit der Gewandtheit des expertesten europäischen Kammerdieners bedient. Diese „Unentbehrlichen“ werden zwar sehr theuer bezahlt; sie sind aber zuverlässig und der Mayor-Domo bürgt für ihre Treue, spricht dagegen bei der Abreise des Fremden das übliche Trinkgeld von 100 Piastern an, eine freilich starke Summe, von der ihm jedoch nur der kleinste Theil bleibt, da er an verschiedene chinesische Beamte drei Viertheile davon abzugeben genöthigt ist. Selbst der arme Packträger, der des Fremden Koffer vom Boden der Schaluppe nach der Faktorei trägt, muß von seinem geringen Lohn die größere Hälfte an habsüchtige Mandarine opfern, und aus Furcht, die Erlaubniß zu verlieren, thut er es willig. Nirgends in der Welt stellt Beamtenhabsucht so frech und schamlos ihre Netze aus, als in China.

Canton – chinesisch Quang-tschou-fu – am nördlichen Ende eines weiten Meerbusens am schiffbaren Tigris gelegen, ist der einzige dem europäischen Handel geöffnete Hafen des chinesischen Festlandes und daher für den Weltverkehr, so schwer auch die Fesseln sind, in der er sich hier bewegen muß, von der höchsten Wichtigkeit. Der Umfang der Stadt beträgt etwa 7 Stunden, die Einwohnerzahl nach der letzten Zählung 630,000. Von europäischen Städten würden nur Paris und London Canton an Größe übertreffen. – Wie alle Hauptorte China’s, ist auch Canton in mehre Quartiere getheilt, welche mit hohen, kastellähnlichen, sehr dicken Mauern umgeben sind, deren Seitenwände aus blauen Backsteinen bestehen, während Kieselgerölle und Kalk die Ausfüllung machen. Die neue, die Tartarenstadt,

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/37&oldid=- (Version vom 26.10.2024)