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Seite:Meyers Universum 7. Band 1840.djvu/40

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der Schneider und Schuhmacher findet man, dem Geschmack aller Nationen sich anschmiegend, alles schon fertig, und der gemeine Laskare, oder holländische Matrose kann sich hier eben so vollständig im Augenblick equipiren, als der britische Gentleman. Die Preise sind nicht theurer, als sie an großen europäischen Plätzen auch zu seyn pflegen. Alle Maler halten offene Buden; wer sich portraitiren lassen will, geht hinein, in 2 Minuten ist die Skizze fertig, und den nächsten Tag holt man das fertige Bild ab. Ein Portrait mittlerer Größe auf Seide in Deckfarben kostet nur 5 Piaster. Die Aehnlichkeit ist immer sprechend; obschon stets etwas chinesisch. Haben die Maler nichts auf Bestellung zu thun, so fertigen sie Bilder zur Wandverzierung auf den Kauf, und so fügt es sich wohl, daß man Copieen seines eigenen Portraits in Gemäldebuden ausgestellt findet, mit dem wunderlichen Titel eines Moguls oder Kaisers des Abendlandes ausstaffirt.

Die chinesischen Handelsleute sind das Muster von Geduld und Höflichkeit. Mit dem freundlichsten Gesicht holen sie alles her und lassen stundenlang besehen und beschauen, und mit unveränderter Freundlichkeit begleitet er zur Thüre auch Den, der nichts kaufte und ihm alle Mühe vergeblich gemacht hat. Als Mittel für Europäer und Chinesen sich verständlich zu machen dient das Englische, das jeder chinesische Bewohner der Kaufmannsstadt mehr oder weniger geläufig radebrecht.

Vor jedem Laden hängt eine Tafel mit dem Namen seines Besitzers und öfters ein Motto, irgend einen Geschäftsgrundsatz proklamirend; z. B.: „Nichts auf Borg!“ „Aechte Waare, feste Preise!“ „Langes Schwatzen trägt nichts ein!“ etc. etc. In den bessern Straßen sind diese Aushängeschilde prächtig bemalt, reich vergoldet und eine wirkliche Zierde.

Man hört selten von einem Diebstahl, obschon die reichsten Läden gar keinen besondern Schutz haben und der Beraubung, der immer gedrängten Menschenmassen wegen, leicht ausgesetzt sind. Die Polizei ist vortrefflich und übt, im gewöhnlichen Rock, ohne Abzeichen, an allen Ecken und Enden Vigilanz. Während der Nacht wird jede Straße an beiden Enden durch hölzerne Thore gesperrt und durch Polizeisoldaten bewacht. Die größte Gefahr in Canton ist das Feuer, welches häufig ausbricht, oft ganze Straßen verzehrt, und fast nie ohne Verlust von Menschenleben abgeht. Der Fatalismus, der unter den Chinesen herrscht, macht, daß sie mit dem Feuer sehr unvorsichtig umgehen und daß, wenn Unglücksfälle für sie daraus entstehen, solche keinen Eindruck auf sie machen. Jährlich, zur heißen Jahreszeit, proklamirt der Vicekönig eine scharfe Mahnung an die Einwohnerschaft, sie zur Vorsicht zu bewegen; dennoch hört man gerade dann am häufigsten von Brandstiftungen, bei denen der diebische Pöbel seine Rechnung findet.

An Landstreichern, Bettlern und gefährlichen Industrierittern ift in Canton eben so wenig Mangel, als in Berlin, Paris und London. Vereine zur Verhütung von Verbrechen und Wilderung des öffentlichen Elends sind hier

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/40&oldid=- (Version vom 26.10.2024)