Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
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Der Mangel an Heerstraßen in Sicilien ist sehr lästig; hat aber auch seine eigenthümlichen Reize. Da sich zu jenem, in natürlicher Folgerung, der Mangel von Gasthöfen gesellt, die man im Innern des Landes kaum dem Namen nach kennt, so fällt es der Gastfreundschaft zu, für Ersatz zu sorgen. Es gibt kein Land in der Welt, wo der gebildete Reifende zuvorkommendere und herzlichere Aufnahme findet, als in Sicilien. Er bedarf nur einer Introduction bei einem angesehenen Hause, um gewiß zu seyn, daß es ihm nicht an Empfehlungen für seine ganze Tour gebrechen werde, die ihm überall die Vorrechte und Annehmlichkeiten sichern, welche man dem Fremden nirgend so bereitwillig und mannichfaltig einräumt. Dabei findet sich in den höhern Klassen, weit allgemeiner als im übrigen Italien, ächte und zumal gelehrte Bildung, im Gegensatze zu Neapel, wo die vornehmeren Stände hinter einem geschmeidigen, äußerlich feinen Wesen, dem Würde und Charakter abgeht, häufig Unwissenheit und Rohheit verbergen. –
Palermo ist die Hauptstadt und zugleich das Herz Siciliens, in welchem die großen Pulsadern seines Lebens schlagen. Die Stadt liegt an der Nordwestküste der Insel, an einem kleinen Meerbusen, und wird durch 2 Forts gegen die Seeseite gut vertheidigt. Die Zahl der Einwohner, die in den glänzendsten Zeiten 300,000 überstieg, ist unter 150,000 gesunken; die Cholera raffte vor 4 Jahren allein 30,000 hinweg. Palermo ist prächtig gebaut und reizend seine Ansicht vom Meere aus, wie sie der Stahlstich uns zeigt; doch viel herrlicher noch ist der Fernblick auf Stadt und Meer von den benachbarten Höhen herab. Aus der Bay betrachtet, verlieren sich die Thürme auf der Folie der Berge, welche die Stadt umschließen. Hafen und Vorstadt erscheinen fast klein, und am erstern vermißt man das lebendige Gewühl des Neapolitaner Molo, das Gequäcke der Policinells, die einförmige Stimme der Vorleser des Tasso, das Ausrufen der Früchteverkäufer, deren überreiche Vorräthe das lüsterne Auge ergötzen, und an den Marinaris (dem Schiffsvolk) die malerische rothe Kappe, welche in ganz Sicilien durch die nüchterne weiße Zipfelmütze verdrängt worden ist. Die platten Dächer haben auch aufgehört, und die häßlichen Hohlziegel des nördlichen Italiens sind ein eben so unerwarteter, als unangenehmer Anblick. Die ersten Straßen, welche man, vom Hafen aus, durchwandert, sind auch enge, winklich, finster; genug, der erste Eindruck ist kein günstiger. Aber ehe die Täuschung sich dem Begriffe vertraut machen kann, betritt man die Hauptstraßen der Stadt, schreitet man über den herrlichen Corso und die Strade Marqueda, und sie verschwindet. Genannte Stadttheile und die Piazza Villena sind fast ganz aus Pallästen gebildet, deren grandioses Ensemble reichlich ersetzt, was sie bei der Musterung im Einzelnen verlieren; denn die meisten dieser Prunkgebäude tragen das Gepräge der letztern Jahrhunderte zur Schau, Ungeschmack und Geistlosigkeit, die sich hinter einem Schwulst gedankenlosen Zierraths verbirgt. Wunderlich geschnörkelte und gebogene Eisenbalkone hängen vor jedem Fenster und werden von in plumpen Gestalten ausgemeißelten Consolen getragen; widerwärtige Karyatiden, gewundene Säulen und ähnliche Auswüchse des Zopfstyls verunzieren die meisten Façaden; das Ganze imponirt aber doch durch seine gewaltige Masse, und
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/78&oldid=- (Version vom 27.10.2024)