Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Als ich unmächtig flehend rang vor dir:
Damals gelobt’ ich mir in meinem Innern,
Mit furchtbar’m Eidschwur, den nur Gott gehört,
Das meines nächsten Schusses erstes Ziel
Dein Herz seyn sollte. – Was ich mir gelobt
In jenes Augenblickes Höllenqualen,
Ist eine heilige Schuld! ich will sie zahlen.“
Mit diesem Vorsatze eilt der aller Stege kundige Schütze zur Küsnachter Straße. Wo die Kapelle jetzt steht auf der Höhe, zu welcher der Weg aus der Tiefe herauf führt, da hält er an: –
„Durch diese hohle Gasse muß er kommen,
Es führt kein andrer Weg nach Küsnacht – hier
Vollend’ ich’s. – – – – – –
– – – – – – – – –
Mach’ deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt!
Fort must du, deine Uhr ist abgelaufen.“
Es kommt der Vogt den Hohlweg herauf geritten. Teil’s Pfeil durchbohrt das Herz des Gewaltherrn und Tell’s Volk wird – frei. – –
Fünf Jahrhunderte sind seitdem verronnen; aber unvergessen blieb das Andenken Tell’s und seiner Sinnesgenossen, welche muthvoll in den Schlachten der Freiheit ihr Leben geopfert haben. Ihre Namen kamen als Ehrennamen in allen Gemeinden auf die Nachkommenschaft. Die spätesten Enkel beteten noch für sie, und bas befreiete Land stiftete Altäre, wo Meßopfer dargebracht wurden für das Heil ihrer Seelen. Aehnlich haben die alten Völker ihre Helden geehrt. Wie Rom und Griechenland ihren Heroen Tempel und Ehrensäulen aufrichteten, so erbauete das fromme Hirtenvolk der Waldstätten den seinigen Kapellen an denjenigen Orten, wo sie ihre Thaten für’s Vaterland vollzogen hatten, und Feierlichkeiten gedachten der Tage, an welchen sie geschehen. Noch sind in den drei Urcantonen die sogenannten Kirchzüge in Gebrauch, Prozessionen, die man dahin macht, wo die Eidgenossen die junge Saat der Freiheit mit ihrem Herzblute düngten: – nach den Schlachtfeldern bei Morgarten, bei Sempach, bei Laupen, bei Murten, bei Granson. Aus dem nämlichen Sinne erstand dem Andenken Werner’s von Stauffach, eines der drei Männer des Grütli, zu Steinen schon 1400 eine besondere Kapelle; und eine zweite, die
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/166&oldid=- (Version vom 8.12.2024)