Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 8. Band 1841.djvu/184

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Iphigenia, die „holde, vielgeehrte“ Priesterin, der jungfräulichen Göttin diente. Am Cap Parthenon, einem bei der Bai Fioraventi weit in das Meer hinaus ragenden Vorgebirge, steht ein Kreuz auf dem nämlichen Felsen, unter welchem Orest und Pylades sich versteckt hielten, als sie von den Scythen entdeckt wurden. Die Höhle ist die Zelle eines Klausners, und in dem heiligen Haine der Diana steht ein Bild der Maria. So knüpfen sich Vergangenheit und Gegenwart, heidnische und christliche Mythe, schwesterlich zusammen.

Vom Städtchen Jalta bis nach Alupka führt auf dem einige hundert Fuß hohen Meerstrande hin die treffliche Chaussee, welche der Graf Woronzoff, Gouverneur von Taurien, anlegen ließ. Wallnuß- und Maulbeerbäume beschatten sie. Gärten an Gärten reihen sich über einander auf den Terrassen der Gelände, an jeder Felswand klebt ein Weinberg, und zu beiden Seiten des Wegs prangen, durch geringe Entfernungen von einander geschieden, die Landsitze der russischen Großen. Man glaubt sich in der Nähe von Neapel, in den Umgebungen einer großen südlichen Hauptstadt, nicht in Rußlands Winkel. Unter unzähligen kleinern Schlössern ragen die Paläste der kaiserlichen Familie, der Narischkins, der Gallizins, die Villa Livadia des Grafen Potozki, und der Sitz des Grafen Woronzoff stolz hervor. Glieder der Czarenfamilie bringen jährlich ein paar Wochen in diesem russischen Paradiese zu. Dann wehen die Flaggen mit den Familienwappen der Anwesenden von allen Villen, und von Strecke zu Strecke aufgestellte Kanonen begrüßen mit ihrem Donner jedes vorübersegelnde Fahrzeug. Zwischen Jalta, einem schönen Städtchen, wo der Fremde in trefflich eingerichteten Hotels so gut leben kann, als in jeder europäischen Hauptstadt, und Odessa besteht eine sehr frequente Dampfschiffverbindung. In der schönen Jahreszeit fehlt es in Jalta nie an Touristenschwärmen vieler Nationen, und man trifft dort fast immer eine gewählte Gesellschaft an.

Die Streifereien jenseits des Gebirgekamms in das Innere der taurischen Halbinsel geschehen meist von Jalta aus und in größeren Gesellschaften. Der erste Ausflug gilt der alten Hauptstadt des einst mächtigen Tartarenreichs – Baktschi-Serai. Von Jalta sind es 7 Meilen. Der Weg geht durch ein angebautes, von einem ungestüm rauschenden Flüßchen bewässertes Felsthal, dessen senkrechte Wände mehre hundert Fuß emporragen. An diesen Felsen sieht man hie und da colossale Arbeiten der Menschen aus längst vergangener Zeit, anscheinend Werke der Befestigung. Man kömmt durch mehre Tartarendörfer. Sie nehmen sich von fern sonderbar aus, und man denkt bei ihrem Anblick eher an einen Kaninchenbau, als an den von Menschen. Die Wohnungen stehen so an den Berggehängen, daß die Dächer der hintern Seite den Boden berühren. In der Fronte ruhen die einstöckigen Hütten auf Säulen, welche weitvorspringende Dachgesimse stützen. Um die Pfosten ranken Reben- und blühende Schlinggewächse und bilden schattige Lauben. Hier sitzen Männer und Weiber mit kreuzweise untergeschlagenen Beinen, nach asiatischer Weise, auf den untergebreiteten Teppichen, und rauchen aus langen

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/184&oldid=- (Version vom 9.12.2024)