Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Hütten die Winterabende aus, machen jedes Gefühl sträuben und frischen den Haß, den die jetzige kluge und menschliche Regierung vergeblich auszulöschen strebt.
So wie man die Gebirgsrücken überstiegen hat, wird das Klima auffallend rauher, die Fruchtbarkeit und der Anbau nehmen ab. Von der Höhe erblickt man zum erstenmal der Krimm einförmige Steppen. Ueber die baumlosen, unabsehlichen Ebenen schweift das Auge, kaum in den kleinen, hie und da zerstreuten Tartarendörfern einen Ruhepunkt findend. Diese Steppen liegen jenseits des Zieles unseres Ausflugs; denn die ehemalige Hauptstadt der Chane prangt in einem schönen Thale dicht am Fuße des Gebirgs, in das wir nun hinabsteigen.
Baktschi-Serai hat eine wirklich beneidenswerthe Lage. In seiner Nähe erweitert sich das schöne Thal, der anfänglich kleine Strom ist durch die aus den vielen Nebenthälern zurinnenden Gewässer zu einem mächtigen Flusse angewachsen, dessen krystallhelle Woge auf der einen Seite hohe Felswände bespült, während auf der andern die schönsten Wiesengründe sich ausbreiten. Hier ruht die „Gartenstadt“ in einem weiten Kranze von Obsthainen und Wäldchen von Cypressen, über deren Wipfel die schlanken Minarets der Moscheen ragen. Das Innere der Stadt ist ganz orientalisch, und sähe man nicht dann und wann eine russische Uniform, so würde nichts die gänzliche Veränderung in den polit. Verhältnissen des Landes andeuten, welche nun schon drei Vierteljahrhundert gedauert hat. Gebäude, Sitten, Kleidung, Gewohnheiten sind durchaus dieselben geblieben. Die Bazars, die Kiosks und Begräbnißplätze, die schwarzen Pappeln, die terrassirten Gärten und Weinberge, die in der Luft zu hängen scheinen, die zahlreichen, schon geschmückten und mit kunstvoller Architektur verzierten Brunnen versetzen nach Stambul oder nach Buckhara. Die Straßen sind nach der Sitte des Orients sehr enge, schlecht gepflastert, unregelmäßig und krumm; die sehr lange Hauptstraße windet sich wie eine ungeheuere Schlange durch das Häuserchaos der Stadt. Wie im ganzen Orient, wird hier jedes Gewerbe und werden selbst die Beschäftigungen, welche nach abendländischer Sitte zu den häuslichen gehören, auf offener Straße getrieben. Vom Schneider, Schuhmacher, bis zum Schreiber und Arzt hinauf, hat jeder seine Bude vor der Hausthüre aufgeschlagen. Daher die große Lebendigkeit auf den Straßen, obschon die Bevölkerung unter russischer Herrschaft um mehr als die Hälfte abgenommen hat. Die zum Verkauf hergeführten Früchte, Taback, Flachs und Korn, werden ebenfalls in den Straßen zu Pyramiden aufgeschichtet, und sie verengen die Passage oft so, daß nicht fortzukommen ist.
Der Pallast der Chane, welcher seit der Eroberung mit großer Sorgfalt ganz in dem alten Zustand erhalten wird, ist das merkwürdigste Gebäude nicht bloß in der Krimm, sondern im ganzen südlichen Rußland. Die äußere Umfangsmauer umschließt einen Raum von ½ engl. Quadratmeile. Es ist der Anziehungspunkt für alle die Krimm besuchenden Touristen, und lobenswerth ist die Einrichtung, welche jedem anständigen Fremden den
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/186&oldid=- (Version vom 10.12.2024)