Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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Triest ist das Tergestum des Alterthums; doch verjüngt, schön, wie das Jahr, wenn der Mai wiederkehrt.
Nur die Wüste, die es überragt, ist unverändert geblieben. Der Karso, jener marmorne Riesenarm der Alpen, an den sich Triest, schutzsuchend vor des Boreas raubem Hauch, gelehnt hat, ist gerade noch so, wie ihn römische Schriftsteller beschreiben: Fels und Steingeröll, mit angeflogenem Moose und wüstem Dorngestrüppe, der Aufenthalt von Schlangen, Ziegen und einsamen Hirten. Die Neuzeit hat nichts hinzu gefügt, als die – Schleichhändler, welche die Civilisation auch zum vogelfreien Wilde rechnet. Kein Fluß, kein Bach, keine Quelle netzt die Schluchten und Gehänge jenes rauhen Gebirgs, dessen Unheimliches, Abenteuerliches, Gespenstiges die Tropfsteinhöhlen vermehren, welche sein Inneres durchziehen, und die Schauermährchen von verborgenen Schätzen und deren Hütern. Vom Karso wurden die Marmorquadern zum Bau Aquileja’s, Venedig’s und zum alten Tergestum gebrochen, und aus dieser Wildnis hervor geht auch das neue Triest, die glückliche Erbin Venedig’s, die Stadt, die werden wird und werden soll, was Aquileja gewesen: „magna et superba!“
Wir enteilen dem unheimlichen Karso; denn hinab lockt der spiegelnde Busen des Meers, das sich dem sehnsüchtigen Blicke entgegenbreitet, hinab lockt Triest selbst, umgeben von Gärten, Rebengeländen, Villen und zahllosen Wimpeln. Was für ein Wechsel der Zeit! – Dieses reiche, große, stattliche Triest wurde noch vor 300 Jahren von der alternden Nachbarin eine – Piratenhöhle gescholten!
Bald umfängt uns das Gewühl einer großen Handelsstadt. Aus jedem Fenster schaut frisches Leben, aus jeder Pforte geht es, aus jeder Gasse strömt es; welch ein Drängen und Wogen, welch ein Rollen und Brausen der vielsprachigen Menschenfluth. Alles ist geschäftig, Alles ist guten Muths, Alles scheint sich des Antheils am Gewinn zu freuen, für den man gern die Mühe in Tausch gibt. Der Fakir, der Eckensteher, der die schwere Last trägt, Der Kärrner: sie alle scheinen unter ihrer Bürde zu tanzen. Selbst die Promenade hier scheint, Gewinn überschlagende Kopfrechner zu versammeln; in den meisten Gesichtern liest man Kalkül und Exempel. Kein Bettler ist zu sehen, kein Armer scheint da zu wohnen, wo jede Arbeitskraft allezeit Anwendung findet und reichlich lohnt. Für das Räderwerk des Lebens ist jeder Sinn offen, und was nicht in’s Leben greift, das wird vergessen. Drüben stehen Aquileja’s gewaltige Trimmer, voll ernster Mahnung. – Was sind sie dem Triester? Er bräche sie ab zu Bausteinen, hätte er diese nicht näher am Karso! Auf der Nekropole der alten Mutter prangen Kaffeehäuser der üppigen Tochter, und in den Fundamenten ihrer Waarenspeicher werden Säulenknäufe und Sarkophagfragmente ohne Arg und ohne Scheu vermauert. Es kümmern sie nicht, die Glückliche, die Aschenkrüge und Thränenvasen! Thronend auf Kaffee-, Zucker- und Pfefferballen; sitzend weich auf Mehemed Ali’s Baumwollsäcken und die Füße rastend auf Heringstonnen und Stockfischbündel, wäre die glückliche Braut Merkur’s fürwahr eine schlechte Braut, wenn sie nicht lieber in Preiscouranten blätterte, als in einem Album über das Parthenon.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/21&oldid=- (Version vom 29.11.2024)