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Seite:Meyers Universum 8. Band 1841.djvu/231

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auch dort der Geist der Nation in seiner gewaltigsten Größe sich ausprägte. Die Monumente Unterägyptens entbehren nämlich (nehmen wir die Pyramiden der Todtenstadt von Memphis aus) das Colossale in Form und Ausführung, welches die oberägyptischen fast unzerstörbar macht. Während 6000 Jahre dort vergeblich an den Menschenwerken nagten, sind die jungeren des Delta verschwunden. –

Die Reihe der altägyptischen Denkmäler fängt bei Tentyris (jest Denderah) an, wo der durch seinen Thierkreis so berühmt gewordene Isistempel die ersten anschaulichen Begriffe von einer Bauart gibt, welche kein anderes Land der Erde aufzuweisen hat. – Theben folgt mit seinen Wundern, und dann in ununterbrochener Reihe die Ruinen von Städten, einzelnen Tempeln und andern großen Gebäuden, aus denen die Ueberbleibsel des alten Hermonthis, Esné’s prachtiger Tempel, Groß-Apollinopolis und die Denkmäler von Silsilis und Ombos hervorragen, die Aufmerksamkeit fesselnd, wie große Menschen. Bis zu den Nilkatarakten dauert die Trümmerkette fort, wo Philae (die Insel Elephantine) mit seiner Tempelwelt die Seele mit Bewunderung füllt. Jenseits Philae nehmen die Denkmäler nicht an Zahl und Umfang, aber an Colossalität und an Kühnheit der Bauart ab. Oft sieht man nur Schutthaufen. Selbst die Stätte von Memphis, die spätere Hauptstadt des Landes, die ein Jahrtausend lang an Pracht und Größe mit dem ältern Theben wetteiferte, würde nicht mehr kenntlich seyn, ohne jene Mausoleen, die Pyramiden, von denen einige so gebaut sind, daß keine Zeit sie überwältigen kann. Unterhalb Memphis wird alles zu unkenntlichem Schutt, überdeckt vom Flugsande der lybischen Wüste. Selbst die Pyramiden unterhalb Gizeh sind nur noch Schutthügel, und ihre ursprüngliche Form ist nicht mehr zu erkennen. Nur dort, wo der Nil in 2 Arme sich spaltet und das nun trockne Bett eines dritten und vertrockneten Arms als „Fluß ohne Wasser“ in nordöstlicher Richtung sich verzweigt – ragt einsam ein Monolith aus der Oede, den Wanderer gleichsam zur Rast auffordernd und ihm zurufend: Du stehst, wo Heliopolis gestanden, auf dem heiligen Boden, wo Moses und die Philosophen Griechenlands die Weisheit empfingen, an welche sich, wie die Glieder einer Kette an ihrem ersten Ringe, die Cultur deines Geschlechts bis auf den heutigen Tag festknüpft.

Heliopolis ist der spätere Name. Der älteste ist On, wie sie auch Moses genannt hat. Die Stadt lag an der Spitze des Delta, an der Scheidung von Mittel- und Unterägypten, 5 Meilen nordöstlich von Memphis. Sie war eine der größten Städte des Reichs und ihr Sonnentempel länger als 2 Jahrtausende der berühmteste Sitz des Wissens, dessen Mittheilung nur den Geweiheten aus priesterlichem Munde wurde. Noch zur Zeit des Hannibal war der Ruf dieser Schule der Vorzeit so groß, daß die vornehmsten Römer hier Unterricht suchten und die größten Männer mit Stolz sich rühmten, hier einen Theil ihrer Bildung empfangen zu haben. Strabo, der dreißig Jahre vor Christus Heliopolis besuchte, konnte nur noch Ruinen beschreiben, deren Herrlichkeit ihn mit Bewunderung

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/231&oldid=- (Version vom 13.12.2024)