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Seite:Meyers Universum 8. Band 1841.djvu/54

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CCCXXXIX. Antwerpen.




Lange schon haben wir kein niederländisches Landschaftsbild wieder gesehen und das heutige ist so schön, als hätte das Original einem Waterloo zum Conterfei gesessen. Es gibt die Ansicht der Hauptstadt Flanderns vom Deck des Dämpfers aus (von der Schelde) in zweistündiger Entfernung.

Schon bei der Insel Walcheren erreicht der seewärts nach Antwerpen Reisende den Strom, an dessen südlichem Thore Vließingens stundenlange Festungswerke mürrisch Wache halten, dräuend, nicht schützend. Von da bis etwa 8 Meilen aufwärts gleicht das 2 bis 3 Stunden weite Gewässer einem sich tief in’s Land hineinstreckenden Arm des Meers, und erst unterhalb des Forts Lillo nimmt es die eigentliche Stromgestalt an. Auf jener breitern Strecke ist man von der Landschaft selbst wenig gewahr geworden; nur dann und wann ragte eine Thurmspitze, wie ein Obelisk, einsam über die hohen Dämme empor, welche die Gestade umpanzern. Erst weiter aufwärts wird der Dammgurt niedriger, und mit Verwunderung schweift das Auge von dem hohen Verdeck über das weite Tiefland. Tausendjähriger Fleiß hat es, sonst unfruchtbare Sanddünen oder Sümpfe, wie wir sie noch an den Hannoverisch-Oldenburgischen Mooren und Haiden sehen, in einen endlosen Park umgeschaffen, – einen Park freilich ohne Fels, Berg und Wald, aber voll der üppigsten Grasgründe und fruchtbarer Felder, durchzogen von unzählichen Canälen und Deichen, auf welchen, umgeben von Baumgruppen, oder neben theils klaren, theils schilfreichen Seen, Landsitze, Windmühlen, Weiler und Dörfer winken, die, mit den grasenden stattlichen Heerden, die Staffage malerischer, wechselvoller Landschaftsbilder ausmachen. Je näher Antwerpen, je reger wird das Leben auf dem Strome selbst, und je sorgfältiger die Cultur, je dichter wird auch die Bevölkerung der immer näher zusammenrückenden Ufer. Schneller und immer schneller fliegen dann die Städte, Flecken, Schlösser und Landsitze vorüber! Schanzen und Forts – wie unheimliche Hüter eines großen Schatzes oder wie die Vorposten eines Heers, – werden in rascher Aufeinanderfolge sichtbar; so, zuerst Fort Lillo, dann Lieftenshoek, und einander gegenüber die alten Werke vom Fort Philipp und Maria. – Endlich, mitten in der reichen, bunten Landschaft, tief im Hintergrunde des Wasserspiegels, tritt die stolze Münsterpyramide Antwerpens sichtbar hervor. Wie ein Candelaber steigt sie in die Wolken. Nach und nach gucken der Thürme immer

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/54&oldid=- (Version vom 1.12.2024)