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Seite:Meyers Universum 8. Band 1841.djvu/57

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mehr heraus, dann die Citadelle mit ihren Riesenwerken, und endlich der Mastenwald, hinter dem sich die 12,000 Häuser der Stadt in Rauch und Nebel verstecken. –

Es blüheten schon in uralter Zeit in Antwerpen Gewerbe und Handel, und in den Kreuzzügen wurde die Stadt mit dem steinreichen Brügge und dem glänzenden Gent die Perle Niederlands geheißen. Besonders war Antwerpens Verkehr mit den Normannen groß, und dort die Hauptniederlage der Produkte der baltischen Länder. Doch erst mit dem Sinken Venedigs stieg es zu der Handelsgröße empor, von der nur das heutige London einen würdigen Begriff zu geben vermag. Während Spanien selbst durch Auswanderung nach Amerika sich entvölkerte und an der Colonisirung des reichen Welttheils sich entkräftete, beutete Antwerpen durch seinen Handel die Schätze der neuen Welt aus, und das Gold Peru’s und Mexiko’s häufte sich da und in andern Städten Holland’s und Flandern’s zu jenem colossalen Reichthum an, der diesen kleinen Ländern später die Kraft gab, den Kampf auf Leben und Tod mit dem größten Weltreiche nicht nur zu wagen, sondern auch siegreich zu bestehen.

Unter dem Schutze der alle Meere beherrschenden spanischen Flagge, begünstigt durch die wichtigsten Privilegien und im Genusse einer fast republikanischen Freiheit, versammelte Antwerpen im sechzehnten Jahrhundert die unternehmendsten Kaufleute der Erde in seinen Mauern. Der jährliche hiesige Waarenumsatz wurde in der Regierungszeit Carl’s V. auf 500 Millionen Gulden geschätzt. Oefters lagen 3000 Schiffe zugleich im Hafen, und es war nichts Ungewöhnliches, daß die Fahrzeuge 3 bis 4 Wochen lang harren mußten, ehe sie nur an die Kayen zum Entlöschen gelangen konnten. Die Venetianer, von denen, nach dem veränderten Gang des Welthandels, sich viele hier ansiedelten, gestanden selbst, das Antwerpens Handel zu dieser Zeit weit größer war, als der ihrer Vaterstadt zu ihrer blühendsten Periode. Ueber 200,000 Einwohner drängten sich auf den Raum, der jetzt mit 90,000 dicht bevölkert erscheint. Sprichwörtlich war Antwerpner Reichthum durch die ganze Welt, und dieser Reichthum wußte nicht blos zu genießen, auch Kunst und Wissenschaft erblüheten herrlicher unter seinen Fittigen, als die in Egoismus versunkene Neuzeit begreifen kann.

So großer Flor hätte viele Jahrhunderte lang dauern und sich fortentwickeln können, hätte es mehr bedurft, als eines Despoten Faust, um das, was unter dem Zusammenwirken der günstigsten Verhältnisse aufgebaut worden und was so viele Fürsten gepflegt hatten mit sorgsamer Hand, wieder zu zertrümmern. Auf Carl V. folgte ein Philipp II. Vergeblich hatte ihm Carl, Angesichte der flamändischen Nation, das Gelübde aufgelegt, mit Weisheit und Güte zu regieren und das Werk des Gedeihens zu erhalten; ein Philipp, bei dem Blutgerüste, Möncherei, Inquisition, Unwissenheit und Aberglauben als die Grundpfeiler galten, auf dem allein sich der Bau der Fürstengewalt würdig erheben müsse, konnte ein Volk weder lieben noch achten, das, seiner Kraft sich

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/57&oldid=- (Version vom 1.12.2024)