Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band | |
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den Schmuck Sevilla’s, und ihre tausend Säulenhallen, gab Italica den Stoff. Alle sind mit Marmorplatten gepflastert, und in ihrer Mitte springt kühlendes Wasser und fällt in ein Bassin zurück, in welchem Goldfische schimmern. Blühende Blumen in Töpfen auf Fußgestellen prangen zwischen den Säulenbögen, duftende Sträucher ranken an den Hallen hin; Bäume des Südens, Citronen und Orangen, füllen gruppenweise die Winkel aus, und mitunter ragt eine schlanke Palme mit ihrem Kronenrund hoch über die Dächer auf. Ist der Abend zumal ein Festabend, dann ist in jedem Hofe Gesang und Guitarrenklang, und zwischen den Wasserstrahlen, Blumengewinden, Marmorsäulen und Baumgruppen gauckeln anmuthige Gestalten umher. Es hat ein solcher Anblick in der That was Zauberisches, Feenhaftes, und macht die Schilderungen arabischer Mährchenerzähler gleichsam wahr. Dies Leben dauert bis Mitternacht; dann schließen sich hie und da die Thorwege, Gruppen und Parthieen trennen sich vom Gewühl auf den Straßen und Plätzen ab, man hört sich gute Nacht wünschen, die Hausthüren knarren, die Riegel schieben; Glanz und Lichter erlöschen; der Feuer-Schein, der die ganze Stadt wie mit einem Nimbus umgibt, wird matter; nur dann und wann kommt noch eine dicke Menschenwoge daher, einer Musikbande folgend, die irgendwo einem gefeierten Manne eine späte Serenade bringt. –
Zwei kurze Leguas von diesem Schauplatz des Lebens ist die öde Grabesstätte Italica’s – Italica’s, wo noch vor einem Jahrtausende ein Leben blühete, viel größer und herrlicher noch, als das ist, was wir eben betrachteten. Von der Größe der alten Stadt kann man sich einen Begriff machen, wenn man erfährt, daß sie 7 spanische Leguas (etwa 12 Stunden) Umfang hatte, und von ihrer Pracht, wenn man weiß, daß viele Jahrhunderte hindurch der architektonische Schmuck, nicht nur für Sevilla, sondern auch für die Klöster, Schlösser und Städte auf 20 Meilen in der Runde ihren Trümmern entnommen wurde. In Sevilla allein sollen über 30,000 Säulen dem alten Santiponce gehören, wie das Volk, Italica’s Namen vergessend, die Trimmer genannt hat.
Wandern wir hinaus zu seiner Stätte! Durch die blühende Thalebene des Quadalquivir geht der Weg. Rechts und links stehen prächtige Klöster von Strecke zu Strecke, wohl vier oder fünf. Marmor ist ihr Baumaterial, und tausende von Bruchstücken, von Inschriften, Ornamenten etc. etc. lassen ihren Ursprung deutlich erkennen. Diese großen Behausungen des beschaulichen Nichtsthuns sind von ihren Insassen verlassen, die Zellen sind leer, kein Mönch lustwandelt mehr unter den schattenden Palmen, und nur ein Pächter der Grundstücke wohnt bescheiden in einer Ecke, bis ein Käufer sich findet, der herausbricht, was Metallwerth hat, und das Uebrige der Zeit und dem Wetter, Fledermäusen und Eulen überläßt, welche das Verwüstungswerk vollenden. Schauerlich hallen des Besuchenden eigene Fußtritte in den hohen Räumen dieser Klosterpalläste wider, die der Nation Millionen zu erbauen kosteten, und welche sie jetzt zu so viel hundert Piaster verkauft.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/80&oldid=- (Version vom 2.12.2024)