Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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Bilde, die Einsetzung des Abendmahls. Von Martin Schaffner, Dürer’s Zeitgenossen, ist der Gemäldeschmuck im Chore selbst; die schönen Bildschnitzereien eben da fertigte Daniel Meth. Ein kunstvolles Sakramenthäuschen, in Gestalt einer Pyramide, steht neben dem Chor, ein Werk des Meisters Jörgen Surlen um 1570. Von derselben Hand sind die Chorstühle geschnitten worden und das vortreffliche Christusbild in der Vorhalle; auch die kunstvolle Kanzel und der Taufstein.
Das Ulmer Rathhaus ist noch älter als der Münster und stand schon 1360. Auch da ist in den vielen Zimmern und Sälen mancher Schatz alter Kunst verborgen; aber Vieles ist schlecht gehalten, unpassend aufgestellt und bleibt fort und fort vernachlässigt. Im großen Rathsaale waren ehedem die Sitzungen der schwäbischen Reichsstände, als deren Haupt Ulm eine Zeitlang großen Einfluß auf die Angelegenheiten des Reichs besaß. Im Gewölbe unter demselben modert das schwäbische Archiv, eine Masse von Dokumenten und für die ältere Geschichte des Vaterlandes ein Schatz, welcher der Hebung wohl vergeblich harren wird. Hier befindet sich auch ein merkwürdiges Werk des großen Keppler, ein Hohlgefäß von Kupfer, auf welchem alle damals gangbaren Hohlmaße genau angegeben sind. – Tief unter dem Rathhause, wie unter dem Capitol des römischen Senats, sind scheußliche Kerker, in welchen die herrschenden Patrizier, nach der Unterdrückung der Bürgerfreiheit, den von Zeit zu Zeit heftig erwachenden Freiheitssinn der Bürger zu zügeln wußten. Man sieht noch die Folterkammer, man sieht noch die Kloben in der Mauer und an den Pfeilern, zur Ankettung der unglücklichen Schuldigen und der schuldlosen Opfer.
Fort aus diesen Schauergewölben und in Ulms lachende Umgebung! Den dichten Gartenkranz um die verfallenen Wälle fassen wir recht in’s Auge, denn wir sehen ihn nicht wieder. In einigen Jahren wird er verschwunden seyn. Ulm soll ja wieder ein Waffenplatz ersten Ranges werden. Wunderlicher Plan! während die Künste und Interessen des Friedens, Eisenbahnen und andere Dinge, den Krieg für immer würgen, baut man Festungen! –
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/112&oldid=- (Version vom 31.12.2024)