Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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Prächtig ist das Thor zu allen diesen Schönheiten: die Einfahrt aus dem schwarzen Meere. Die von den blauen Gewässern sich kühnaufthürmenden Felsenvorgebirge tragen, als Wächter und als Wegweiser der Nacht, Leuchtthürme auf ihren Scheiteln und die gewaltigen Mauern der beiden Vesten, Phanaraki auf asiatischer, und Rum-Ili auf europäischer Seite. Beide Forts sind Denkmäler der Macht der Genuesen in diesen Gegenden, und noch sieht man über den Thoren das Wappen der stolzen Republik. Nicht weit von der Einfahrt treten die Bergkette des Olympos und von der entgegengesetzten Seite die des Hämus auf einander zu und die Ufer des Kanals rücken zusammen. An dieser zur Vertheidigung der Einfahrt so günstigen Stelle sind auf beiden Seiten Batterien aufgestellt und Citadellen und Forts (Phil-Burun, Poiras etc. etc.) bedecken die Höhen in der Nähe, deren schwere Geschütze die Meerenge bestreichen. Die Gestade selbst sind steile Feldwände und die Strömung ist hier sehr heftig. Keiner Flotte ist es möglich, die Durchfahrt zu forçiren, wenn die Geschütze (man zählt in den Bosporusbefestigungen überhaupt an drittehalbtausend) nur einigermaßen gut bedient werden.
Es war dieser Punkt schon bei den Alten von strategischer Wichtigkeit, und er wurde durch manches welthistorische Ereignis berühmt. – Weiter abwärts in geringer Entfernung erhebt sich ein Vorgebirge steil und drohend; es ist der Riesenberg, und dahin versetzt die türkische Legende das Grab Josua’s, des judäischen Eroberers. Als heiliger Ort wird er von Wallfahrern häufig besucht, und Josua verrichtet hier so gut Wunder und spielt den Universaldoctor so vortrefflich, als irgend einer aus der christlichen Heiligenschaar, oder eine „Mutter Gottes voller Gnade.“ Die Zöllner der Dummheit fehlen hier ebenfalls nicht; ein Derwischkloster steht am Berge und die Opferpfennige mästen die trägen Bäuche vortrefflich.
Weiter abwärts, auf asiatischer Seite, sieht man zwischen Platanengruppen hindurch in ein schönes Thal, – das „Thal des Großherrn“ und eine Reihe Marmorstufen führt zum Gestade, das nach ihnen den Namen Chunkar Ikelessi bat. Der schöne kaiserliche Kiosk ist in eine für Rechnung des Schatzes verwaltete Papierfabrik umgewandelt worden; gegenüber auf der europ. Seite glänzen die Sommerwohnungen der christlichen Gesandten und Botschafter um Bujukdere; es ketten sich dort Gärten, Paläste und Kiosks in ununterbrochener Reihe an einander. – Im Thale des Großherrn war es, wo 1833 das russische Hülfsheer lagerte, das herbei eilte, als nach der Schlacht von Koniah dem Pascha von Aegypten der Weg nach der türkischen Hauptstadt offen stand. Mehemed Ali war freilich der Mann nicht, der den Geist des scheidenden Türkenreichs beschwören konnte. Der große Augenblick ging vorüber. – Nahe an Constantinopel macht der Bosporus zwei kleine Bayen voller Anmuth, die Bay von Sultanieh, mit einem kaiserlichen Kiosk, und von Kandlidsche, mit einem Flecken gleichen Namens, bei dem sich eine große Moschee aus einem Kranze von Platanen erhebt. Gleich unterhalb derselben verengt sich der Kanal wieder und zwei Vorgebirge rücken gegen einander. An dieser zur Befestigung wieder sehr geschickten Stelle drohen
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/146&oldid=- (Version vom 2.1.2025)