Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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sich malerisch genug ausnehmen, ohne indeß Anspruch auf architektonische Schönheit zu haben. Alle Fenster derselben sind dicht vergittert, die Gärten, welche sie umgeben, mit hohen Mauern umschlossen und schwarze Verschnittene halten die Wache an den Pforten. – Noch einen Blick auf Rumili-Hissar, ehe wir vom Bosporus scheiden! Diese alte Veste diente seit den letzten 2 Jahrhunderten als berüchtigte Bastille, deren Thore sich dem Unglücklichen nur einmal öffnen, denn zurück kehrt Keiner. Weder Ansehen der Person, noch Rang, noch Verdienst schützen; über Hoch und Niedrig waltet dasselbe Verhängniß, Alle vernichtet hier des Despotismus eiserner Arm mit gleicher Unerbittlichkeit. Wer dem Sultan oder seinen Favoriten im Wege ist, der verschwindet in diesen schaudervollen Kerkern, wo keine Erlösung ist, als durch die seidene Schnur, oder den Säbel der schwarzen Sklaven, die hier Henker und Kerkermeister zugleich sind. Nach Sonnenuntergang darf sich kein Fahrzeug in der Nähe dieses unheimlichen Schlosses blicken lassen; denn alle Opfer werden in verschlossenen Barken bei Nacht hierher gebracht und die türkische Hofjustiz will richten ohne Zeugen. In den bewegten Zeiten des vorigen Sultans war das Aufheben hochgestellter Personen an der Nachtordnung. Man sagte dann, sie seyen in Rumili-Hissar begraben, und kein Mensch wagte es, weiter zu forschen. – Das Vorgebirge, auf welchem die Veste steht, ist das Hermäon der Alten. Hier schlug Androkles jene berühmte Brücke über den Bosporus, über welche Darius sein zahlloses Perserheer führte, Europa unter das asiatische Joch zu beugen. Ein Fels, auf dem jetzt einer der Festungsthürme steht, war zu einem Throne ausgehauen, und von ihm herab betrachtete der König das stolze Schauspiel des Heerübergangs. Weltherrscher-Gedanken mochten hier in seiner Seele lodern, als die Brücke unter den Tritten der ungezählten Schaaren der Krieger, Rosse und Elephanten donnerte. Armer Darius! deine Macht konnte wohl die Wasserkluft zweier Welttheile überjochen und des Bosporus Felsen erschüttern, aber nicht die Herzen und den Himmel der Freiheit. Dir ging’s wie allen Despoten; es fehlte dir für die Freiheitskräfte der Maßstab, denn der Despot kennt keinen andern, als den von seinen Sklaven hergenommenen, und wie trüglich der ist, hat sich immerfort bewiesen, vom Tage bei Marathon an, bis zu den Heldenkämpfen am Kaukasus.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/148&oldid=- (Version vom 2.1.2025)