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Seite:Meyers Universum 9. Band 1842.djvu/170

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eigentlichen Aufenthalt des Monarchen: die vielen Privatpaläste des Kaisers und der Kaiserin. An ihnen hat die chinesische Architektur und Bildnerei ihre höchste Pracht und ihr größtes Geschick verschwendet. Sie haben dabei ein heiteres Ansehen; nicht den zurückstoßenden Ernst der meisten Königsschlösser in den europäischen Ländern. Hinter den Palästen strecken sich die kaiserlichen Lustgärten wohl eine Weile weit aus: Anlagen, die Alles übertreffen, was die englische Landschaftsgärtnerei Schönes hervorgebracht hat. Die reizendste Abwechselung von Berg und Thal, Schlucht und Felsen, Seen, fließenden und stürzenden Wassern, Stegen und Brücken, Wäldern, Obstpflanzungen und Wiesengründen bereiten dem Auge bei jedem Schritte ein anderes, schöneres Landschaftsbild. Geschmackvolle Sommerschlößchen, an deren schimmernden, weit überspringenden Dächern sorgfältig gestimmte Glöckchen, vom Winde bewegt, liebliche Weisen in endloser Mannichfaltigkeit spielen, Tempel, Thürmchen von Porzellan, kleine Meiereien, Lauben- und Schattengänge aller Formen, rauschende Springbrunnen und plätschernde Kaskaden, weidende Heerden und gezähmtes Wild bilden in diesem feenartigen Aufenthalt die passende Staffage. Aber zugänglich ist der Monarch keinem der vielen Millionen, die seinem Scepter gehorchen. Nur die Weiber und eine kleine Zahl vertrauter Genossen der Lust sind sein Umgang; er erfährt von dem, was in seinem Reiche vorgeht, nur so viel, als die Minister für unumgänglich nöthig erachten, und dies Wenige ist nie die Wahrheit. Es scheint in der That auch überflüssig; denn wo, wie in China, die Regierungskunst nichts weiter ist, als eine Maschine, welcher die Nothwendigkeit die unveränderliche Bewegung verleiht, kann jede eigenwillige Kraftäußerung des Monarchen nur störend auf ihr Getriebe wirken. Daher spart man auch des Kaisers eignes Regierungswirken nur für außerordentliche Gelegenheiten und Fälle auf. Ist Alles ruhig und geht der Mechanismus seinen Gang, dann hat der Vater des himmlischen Reichs nichts zu thun und seine Unterthanen hören von seinem Daseyn nur durch die Eingangsformel der Erlasse der Mandarinen; wenn aber Plagen, als: Seuchen, Dürre u. s. w. das Land geißeln, oder Empörung und äußerer Angriff den Sohn des Himmels und seine Völker beunruhigt, dann läßt er jene Edikte durch das Reich gehen, die uns Europäer in der letzten Zeit, während des Kriegs mit den „rothhaarigen Barbaren“ (den Engländern), öfters ergötzten. Sie übertreffen im Style sogar die Allokutionen des Papstes und sind die Ausgeburten der Heuchelei. Ein Fascikel solcher Edikte ist ein leidlicher Codex der Moral, denn der erhabene Monarch soll nach einem unveränderlichen Herrscherprinzipe niemals Leidenschaft zeigen, jeder seiner Verfügungen nur rein sittliche Beweggründe unterlegen und immer Vaterliebe und väterliche Sorgfalt für das Wohl der Millionen zur Schau stellen, um deren irdisches Heil er sich bei seinen Weibern und Lustgenossen so wenig bekümmert, als wie der Wolf um das Wohl der Schafe, die er frißt. Aehnliches haben wir zwar in allen Despotien, und