Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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Straßen, Felder und Wiesen in Gärten; neue Stadtviertel steigen auf, alte werden niedergerissen und die Palastarchitektur schichtet ihre Steinmassen auf den Stätten ärmlicher Wohnungen auf. Was ist aus dem Paris von 1789 geworden? Wer erkennt noch die classischen Orte der Revolution? Man gehe z. B. in die Vorstadt Saint Antonie! Sie gießt nicht mehr jene Volksmassen aus schmutzigen Gassen und Gäßchen, welche die Bastille stürmten, und bald der Revolution Handlanger waren, bald sie selbst beherrschten. Der Ruf, „die Faubourg ist da!“ erschreckt Paris nicht mehr; friedlich lustwandelt eine gutgekleidete Menge in hübschen Straßen, die alten engen Gäßchen sind fort bis auf die Namen. Auch der Bastillenplatz hat nichts weiter übrig. Kein Steinchen ist mehr zu sehen von der alten Zwingburg-Trümmer, welche das Volk hingestellt hatte als Markscheide zwischen die alte und neue Zeit. Damit indessen ein Stein an der Stelle nicht fehle, richtete Ludwig Philipp die Julisäule auf! Der König hat’s gethan in dem irren Wahn, der Revolution selbst einen Leichenstein zu setzen: er sah ihre Selbstbefreiung in den Julitagen für Selbstentleibung an, und sich für den von Gott berufenen Todtengräber. Du armer Philipp! Das Straßenpflaster, auf dem dein Sohn den Schädel sich einschlug, hat dir, grausam genug! über die Bedeutung Derer, denen Völker und Könige die heilsame Logik der Pflastersteine verdanken, ein Licht aufgesteckt, von dem du nichts träumtest, als du ihnen diese Säulengruft gebaut hast.
Als Kunstwerk können wir die Juliussäule nicht bewundern. Sie ist von Bronze. Ihre Verhältnisse sind schlecht, ihre Ornamente an Erfindung dürftig, eintönig, ohne Geist; das ganze Denkmal steht so tief unter dem großen Gegenstande, als etwa Luther’s Monument in Wittenberg. Eine finstere Treppe führt zur Gallerie, welche die Kuppel der Säule umgibt; eine andere hinab in die Gruft zu den berühmten Todten, den Leuten ohne Namen. Von allen hat keiner einen feinen Rock gehabt. Die guten Röcke blieben zu Hause. Es war 1789 eben so. Es wird künftig wieder so seyn: in Paris so; anderwärts so.
An der Juliussäule wird’s einem wieder recht klar, wie die Künstler heut zu Tage nur gelernt haben, den Reichen und Mächtigen zu dienen. Könige und ihre Diener können sie denkmälern: dazu reicht ihr bischen Lebensfond und Seelenwärme aus: aber Volkesthat zu feiern durch ein Bauwerk unter freiem Himmel, Allen verständlich, Alle anregend, in Allen Begeisterung erweckend – ein Werk, daß die große That einziehen lasse, groß und hehr, in der Völker Herzen: – dazu fehlt ihnen die Kraft, die Begeisterung; das vermögen sie nicht!
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/191&oldid=- (Version vom 3.1.2025)