Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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Gouvernements verbreitet, und die Hauptstädte derselben, Tula, Kaluga, Wladimir, Wologda und Kostroma machen wieder eben so viele Centralpunkte für kleinere Kreise aus.
Kostroma, an der Wolga, war im vorigen Jahrhundert ein elender Ort, mit 6-700 hölzernen Häusern und 5000 Einwohnern; Fabrikthätigkeit hat ihn jetzt zu einer der hübschesten Städte des nördlichen Rußlands gemacht. In die Stelle der Armuth ist der Wohlstand getreten, und Schulen und andere Anstalten fördern die Bildung. In Kostroma hat jetzt die Leinwandmanufaktur und Juchtenfabrikation einen ihrer bedeutendsten Sitze, und von den 13,000 Einwohnern gehört die größere Hälfte den Gewerben an.
In einer Landschaft, welche der Fleiß einst zum Paradies machte und die Fautheit wieder zur Wüste verkehrt hat, in der weiten Ebene, welche der Ebro in vielen Krümmungen durchströmt, sieht man Saragossa mit seinen hundert Thürmen in großer Ferne. Imposant nimmt sich die Stadt aus, wie eine Hauptstadt des Orients; und häßlich wie diese ist sie auch im Innern. Ihre Straßen sind enge, schlecht gepflastert; die Häuser alt, mit weit vorspringenden Giebeln und Erkern, alle grau, viele im verfallenen Zustand. Schöne Gebäude zwar sind die vielen Klöster und Kirchen; aber verschlossen sind sie bis auf wenige, alle Klöster sind leer, und sie helfen das Unheimliche des Ansehens vergrößern. – Das Volk hingegen ist herrlich. Wenn man diese athletisch gebauten Männer mit dem afrikanischen Feuerauge, dem dichten Bart, der grandiosen Haltung, dem stolzen Gang sieht, dann lernt man begreifen, wie es möglich war, daß diese offene Stadt von 40,000 Einwohnern, ohne Mauern und Gräben, zwei französischen Heeren die hartnäckigste, heldenmüthigste Vertheidigung entgegensetzen konnte, welche die Annalen des Kriegs aufzeichnet.
Das Wunder von Saragossa ist ein Thurm, welcher mitten auf dem Markt von San Felippo steht. Er wurde um 1500 gebaut und der Einfluß des maurischen Styls ist unverkennbar. Bald nach seiner Errichtung wich der Grund, der Thurm neigte sich auf eine Seite und so, daß man seinen Einsturz gewiß glaubte: doch steht er seit vierthalbhundert Jahren drohend da, ohne daß sich ein Stein geregt hat. – Jeder Fremde, der nach Saragossa kommt, besteigt ihn; denn er ist nicht bloß der merkwürdigste, sondern auch einer der höchsten der Stadt und gewährt die weiteste Aussicht.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/48&oldid=- (Version vom 29.12.2024)