Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band | |
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geschmückten Platze die 4 schnurgeraden Hauptstraßen, jede 1 Stunde lang, 100 Fuß breit, – an deren Ende die Hauptthore, als prachtvolle Triumphpforten, in’s Freie führten. Südwestwärts, außerhalb der Thore, war die Nekropolis, die Stadt der Todten, mit den Katakomben, in deren Labyrinth jetzt Hyänen hausen.
Dieß die Andeutungen der alten Hauptstadt der orientalisch-hellenischen Welt, der Herrin der klassischen Weisheit, der Pflegerin der Wissenschaften, der Wiege der christlichen Gottesgelahrtheit, jener Alexandria, welche aus der Hand der Nachfolger des Welteroberers nach einander in die der Römer, der Araber, der Türken fallend, nach so vielen Katastrophen und Verheerungen sich immer wieder aus ihren Trümmern erhob. – Nur wenige antike Reste sind noch sichtbar. Vieles verdeckt die neue Stadt, und unter den Schutthaufen ist gewiß noch Herrliches verborgen; Vieles ist auch verschleppt worden in alle Welt; schon Rom und Byzanz haben sich mit dem Schmuck der alten Alexandria geziert, und was neu aufgefunden wird, das wandert gewöhnlich in die Museen und Kabinette Europa’s: doch ist immer noch genug übrig, erkennen zu lassen, wie herrlich, groß und mächtig die Herrscherin der Meere gewesen. Unter den letzten Ptolemäern hatte Alexandria über 1 Million Einwohner, soviel als das heutige Paris, und Diodorus Siculus berichtet sogar, daß sie 300,000 freie Bürger zählte. Alle Völker der Erde waren hier zu Hause. Am zahlreichsten waren die Griechen, die Aegypter, der spekulirende, geschäftige Jude und der stolze, gebietende Römer. Dadurch, daß Aegypten zum römischen Weltreich geschlagen worden, verlor Alexandrien wenig. Sein Pharus leuchtete nach wie vor den Handelsflotten der Erde. Von Rom gejocht, aber auch geschützt, blieb es der Markt, wo Arabien, Indien, Afrika ihre köstlichen Produkte hinbrachten, wo Europa Korn und Manufakturwaren für sein Gold und Silber tauschte; der Kanal, in den wieder zurückfloß, was der räuberische Römer der Welt entpreßte, die sein Joch trug. – Erst durch die Theilung des Reichs, 395 n. Chr., wurde Alexandriens Verfall entschieden, der schon früher eingeleitet war; denn der römische Westen wand sich im Todeskampfe mit den eindringenden Germanen, die Marken Ostroms wurden nicht viel später von asiatischen und scythischen Völkern geplündert, Roms Kraft fraß der unfruchtbare Krieg, und die Quellen des Reichthums für Alexandrien begannen zu versiegen. Indeß blieb ihm immer noch vom unermeßlichen Gute viel zurück, daß es, nachdem das Westreich selbst gestürzt war, lange noch als die erste Stadt der Erde galt und Byzanz selbst überstrahlte. Zur Katastrophe kam es erst dann, als der Araber Volk zur Ehre Gottes und seines großen Propheten auszog, die Welt zu bekehren und zu beherrschen. Amru, der Feldherr des Nachfolgers Mohammeds, führte seine begeisterten Schaaren vor das christliche Alexandrien – und am 11. Februar 641 versank das Kreuz in einem Blut- und Flammenmeere. 23,000 Mann hatte den Arabern der Sturm auf Alexandrien gekostet: – zweimal hunderttausend Christen aber fraß das Schwert, die meisten übrigen Einwohner wurden als Sklaven verkauft. „Wer,“ schrieb nach der Einnahme Amru dem Chalifen, „wer könnte die
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1842, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_9._Band_1842.djvu/65&oldid=- (Version vom 30.12.2024)