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Seite:Meyers Universum 9. Band 1842.djvu/79

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anläßt, und in jedem freimüthigen Worte eine weitumgreifende Verschwörung wittert? Sind manche Landtage mehr, als blaue Dunsterscheinungen, um die Zeit zu äffen? – Und selbst die besten, wie bleiben sie hinter demIdeal zurück! Bei allem Fond von Hausverstand und einer ehrenwerthen, billigen, dem Guten leicht zugänglichen Gesinnung, die namentlich der Mehrzahl deutscher Kammern innewohnt, wird’s ihnen doch so schwer, aus der Lehrzeit herauszugehen, und Philisterei, Unbeholfenheit, verkehrte Begriffe von Beruf und Würde und Mangel der Einsicht in das constitutionelle Leben finden fort und fort in den Verhandlungen Raum. – Dennoch aber, bei allen Mängeln und Principsfälschungen in den ständischen Verfassungen, sollen und dürfen wir nicht verkennen, daß sie im Ganzen eine große Masse des Guten wirkten. Fast überall, wo sie gelten, öffneten sie tiefe, belehrende Blicke in die scheußliche Vergangenheit, wo das Piacere der Fürsten als suprema lex gegolten; lüfteten sie den Schleier von den geheimen Uebeln, an welchen Staaten und Völker siechen; haben sie bessern Einrichtungen die Wege angebahnt, großen Mißbräuchen ein Ziel gesetzt, das Unwesen der Vergangenheit zu seinem Wendepunkte geführt, still und kaum merklich zum Genuß eines vollern Maaßes von Freiheit das Verlangen geweckt und die Völker dazu vorbereitet und vorgebildet. – Und darum sollen wir – wenn man auch noch da und dort in den Ständeversammlungen gar unlauteres Geschwätz vernimmt, und auf der andern Seite Regierungen sieht, emsig bestrebt, an den Kammern und ihren Gliedern alle Fälschungs-, Bestechungs- und Verführungskünste der Zeit zu üben und das Volk über Maaß und Geltung seiner Rechte zu verwirren – die Verfassungen doch als die beste Gabe der Zeit betrachten und die Quelle ehren, aus welcher sie alle schöpften. Diese ist Britanniens Magna Charta, und das britische Parlament der Ort, wo der Uranus der neuen Zeit zu zeugen anfing. Mag nun der alte Zeus donnern und Blitze schleudern, wie er will; keine Macht ist mehr vermögend, ihn gegen das neue Göttergeschlecht zu schützen. Er stürzt – und seine Herrlichkeit dient einst zum Mährchenstoff für unsere Enkel. –

Das alte Parlamentsgebäude brannte vor einigen Jahren nieder, und an dessen Stelle ersteht der neue Parlaments-Palast, der uns im Bilde so würdig und ansprechend vor’s Auge tritt. Er macht mit der nahen Westmünsterabtei, welche den Hintergrund ausfüllt, eine architektonische Gruppe voller Majestät. Der Styl beider Gebäude ist der gothische. Gegenwärtig ist der Palast fast bis zum Dache fertig, und nächstes Jahr kommt der äußere Bau zu Stande. Er allein wird über 4 Millionen Gulden kosten. Die Dekoration im Innern wird mittelalterlich gehalten, dabei voll Pracht. Es wird dies Gebäude, wie das frühere, beide Parlamente, das Ober- und Unterhaus, unter seinem Dache vereinigen.

Am Bauplane selbst wird nur ein Mangel gerügt, und dieser ist ein so augenfälliger, daß man nicht begreift, wie er bei der Anlage außer Acht bleiben konnte. Die gewählte Stelle liegt nämlich so tief, daß die