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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10

zu hilflosen, toten Körpern werden, welche durch andre Motoren zur Füllstation hingeschafft werden müssen. Die feuerlose L. von M. Honigmann (Natronlokomotive) beruht auf einem für die Dampfgewinnung im großen vorher nicht verwendeten Prinzip. Leitet man Wasserdampf in eine starke Natronlösung (auch andre Lösungen sind anwendbar), so wird er selbst bei Temperaturen von 130° und darüber vollkommen zu Wasser verdichtet. Die hierdurch frei werdende Wärme überträgt sich zunächst auf die Lösung und kann weiter zur Heizung von Dampfkesseln benutzt werden. Die Lösung wird mit der Zeit wärmer und wässeriger, bis sie keine Dämpfe mehr festhalten kann und selbst ins Sieden kommt. Honigmann bringt nun auf seinen Lokomotiven einen Natronkessel aa (Fig. 8) an, über welchem ein Wasserkessel b steht. Von dem Boden des letztern geht eine große Anzahl Siederohre cc bis ziemlich zum Boden des erstern. Ein Rohr dd führt von dem obern, dampferfüllt zu denkenden Raum des Wasserkessels zu den Dampfcylindern f, ein zweites ee von diesen in den untern Teil des Natronkessels. Ist nun von vornherein der Dampfdruck in b groß genug, um die Maschine zu treiben, so gelangt der abziehende verbrauchte Dampf durch ee in die Natronlösung, verdichtet sich dort und erhitzt durch Wärmeabgabe die Lösung derart, daß sie im stande ist, durch Vermittelung der Siederohre cc genügend Wasser in b zu verdampfen, um die Maschine in Gang zu erhalten, und zwar reguliert sich die Heizung des Wasserkessels von selbst in der Weise, daß, je mehr die Maschine leistet, d. h. je mehr Dampf sie verbraucht, desto mehr Dampf auch der Natronlösung zugeführt und desto mehr Wärme entwickelt wird. Das geht so lange, bis nach etwa 4–5 Stunden die Natronlösung durch Verdünnung unwirksam geworden ist. Dann muß sie abgelassen und wieder eingedampft, der Kessel aber mit frischer starker Lösung gefüllt werden. Das in b verdampfende Wasser wird durch einen Injektor aus einem Wasservorratskasten g ersetzt. Natronkessel, Siederohre und Abdampfpfannen müssen aus Kupfer hergestellt sein, weil Eisen von der Natronlösung bei hohen Temperaturen angegriffen wird. Die Natronlokomotive hat gegenüber der oben beschriebenen feuerlosen L. einen kompliziertern und im Material wertvollern Kessel sowie ein Wasserreservoir. Dagegen ist sie nicht nur feuer- und rauchlos, sondern vermeidet sogar jede Dampfausströmung. Auch zeichnet sie sich durch viel längere Leistungsdauer nach einer Füllung aus, so daß gleichzeitig die Gefahr des Steckenbleibens mitten auf der Strecke vermindert wird.

Der Versuch, Lokomotiven mit andern Naturkräften als Dampf (gespannten Federn, komprimierter Luft, Kohlensäure, Elektrizität) zu betreiben, ist bisher mit Ausnahme des elektrischen Betriebs (s. Elektrische Eisenbahn) zu keinem Resultat gekommen.

Geschichtliches und Statistisches.

Die Lokomotiven sind in England erfunden worden. Nachdem man dort lange an dem Irrtum festgehalten hatte, daß Schienenreibung zur Lokomotion nicht ausreichend sei, und deshalb mancherlei wunderliche Konstruktionen von Dampfwagen für gewöhnliche Straßen ausgeführt hatte, war es zuerst Richard Trevethik, der bei Gelegenheit einer Wette mit einer eigens dazu konstruierten L. die Möglichkeit der Fortpflanzung der Zugkraft auf ebenen Schienen nachwies. Von dieser Konstruktion entnahm Stephenson, der Erfinder der ersten praktisch brauchbaren L., die Anwendung des Hochdruckdampfes, das Blasrohr und die Kuppelung mehrerer Achsen. Der infolge einer Preisausschreibung von ihm konstruierten L. „Rocket“ (Rakete) gab er nach der Idee Henry Barths einen Kessel mit 25 im Wasser liegenden Feuerröhren, während bei frühern Konstruktionen die Röhren mit Wasser gefüllt im Feuer lagen. Mit dieser L. besiegte Stephenson in dem welthistorischen Wettfahren vom 6. bis 12. Okt. 1829 alle übrigen Konkurrenten und zugleich das allgemein verbreitete Vorurteil gegen die L. überhaupt. Die erste mit schnell fahrenden Lokomotiven betriebene Strecke war die Liverpool-Manchesterbahn. Die Lokomotiven für die erste deutsche Eisenbahn Nürnberg-Fürth (eröffnet 5. Dez. 1835) wurden aus England bezogen und von Engländern geführt. Die erste deutsche L. (Saxonia) wurde 1837 zu Übigau für die Leipzig-Dresdener Bahn, desgleichen etwas später die zweite (Phönix) gebaut. Als der eigentliche Begründer der deutschen Lokomotivfabrikation ist jedoch Borsig in Berlin anzusehen, der seine erste L. 1841 für die Berlin-Anhalter Bahn baute. Deutschland besitzt zur Zeit 20 Lokomotivfabriken mit einer Leistungsfähigkeit von 1700–1800 Stück pro Jahr. Die deutsche Lokomotivindustrie ist der englischen ebenbürtig und der französischen überlegen. Österreich hat fünf Fabriken mit einer jährlichen Leistungsfähigkeit von 400 Stück, die Schweiz zwei Fabriken mit etwa 50 Stück pro Jahr. In den übrigen Staaten Europas ist der Lokomotivbau unerheblich. Die Bestellungen auf Lokomotiven entsprechen zur Zeit nicht einmal annähernd der Leistungsfähigkeit der Fabriken, wodurch es geschehen konnte, daß die seiner Zeit größte Fabrik Deutschlands im Oktober 1886 geschlossen wurde, nachdem sie im Laufe von 45 Jahren 4208 Lokomotiven fertig gestellt hatte, eine Leistung, die nur durch die amerikanische Fabrik „Baldwin Locomotive Works“ in Philadelphia überboten wird, von welcher im Juli 1886 die 8000. L. vollendet wurde. Die Zahl der überhaupt gebauten Lokomotiven betrug bis 1883 in Deutschland ca. 21,000 Stück, in Österreich 5000, in der Schweiz 450, auf der ganzen Erde etwas über 100,000. In Betrieb sind auf der Erde ca. 50,000 Lokomotiven, welche eine Leistung von rund 10 Mill. Pferdekräften repräsentieren, und zwar in den Vereinigten Staaten von Nordamerika 14,233 Stück, in England 10,932, in Deutschland 5927, in Frankreich 4933, in Österreich 2875, in Rußland 2684, in Ostindien 1323, in Italien 1172 Stück.

Vgl. Schaltenbrand, Die L. (Berl. 1875–76); Petzholdt, Die L. der Gegenwart (Braunschw. 1875); Kretschmer, Der Lokomotivführer und die L. (4. Aufl., Berl. 1874); Brosius u. Koch, Die Schule des Lokomotivführers (6. Aufl., Wiesb. 1887, 3 Tle.); Forney, Construction of locomotive (New York 1875); Heusinger v. Waldegg, Der Lokomotivbau (2. Aufl., Leipz. 1882); Derselbe, Musterkonstruktionen für Eisenbahnbetrieb (Hannov. 1878); Koch, Das Eisenbahnmaschinenwesen (Wiesb. 1879–80); Kosak, Katechismus der Einrichtung und des Betriebes der L. (5. Aufl., Wien 1884); G. Meyer, Grundzüge des Eisenbahnmaschinenbaues, Bd. 1 (Berl. 1883); K. Müller, Die Lokomotiven für Bahnen minderer Ordnung oder starker Steigung (Münch. 1880).

Lokomotivkilometer, s. Kilometer.

Lokri, antike, durch ihren Gesetzgeber Zaleukos berühmte Stadt in Unteritalien, nördlich vom Vorgebirge Zephyrium (Capo di Bruzzano), weshalb sie den Beinamen Epizephyrii erhielt, war von den ozolischen Lokrern aus Griechenland um 700 v. Chr. gegründet. Von den Bruttiern bedrängt, unterwarf L. sich Rom, fiel aber nach der Schlacht bei Cannä wiederum zu den Karthagern ab und wurde erst 205

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 10. Bibliographisches Institut, Leipzig 1888, Seite 891. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b10_s0891.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2023)